Die Anatomie des Todes
Spitzfindigkeiten sollte er sich da lieber nicht einlassen.
»Was ist mit all den Unkosten, die er gehabt hat?«, fragte Maja.
»Jetzt sieht er das anders«, entgegnete sie. »Ihr macht einfach halbe-halbe.«
»Danke, Mama ⦠aber das war wirklich nicht nötig.«
»Ach, das war doch nur eine Kleinigkeit. Und natürlich war es nötig. Niemand darf versuchen, dir wehzutun.«
Maja konnte sich ihrer Rührung nicht erwehren. »Hast du ihm wenigstens einen Kaffee angeboten?«
»Kaffee und Kuchen. Es gibt ja keinen Grund, unhöflich zu sein.«
Maja kicherte.
»Der muss ja ziemlich kleinlaut wieder abgezogen sein.«
»Ja, und weiÃt du was?« Ihr Mutter senkte verschwörerisch die Stimme. »Als ich ihn zum Auto begleitete, habe ich zufällig gesehen, dass da eine Person drinsaÃ, die auf ihn wartete.«
»Wer?«, platzte sie heraus.
»Na ja, so genau hab ich das nun auch wieder nicht gesehen. Ich konnte ja schlieÃlich nicht direkt in den Wagen hineingucken, aber eines steht fest: Es war eine Frau.«
»Wie sah sie denn aus?«
»Nicht besonders«, antwortete die Mutter. »Du weiÃt doch, dass ich noch nie viel von Frauen über dreiÃig mit Rattenschwänzen gehalten habe.«
Erneut musste Maja lachen.
»Hat er also eine Neue gefunden.«
»Also für mein Empfinden sah sie schon etwas gebraucht aus«, scherzte die Mutter weiter. »Aber du hast mir noch gar nicht erzählt, wie es bei dir läuft. Wie gehtâs dir eigentlich?«
»Ganz gut«, antwortete Maja rasch.
»So hörst du dich aber nicht an.«
Maja schwieg. Es kam ihr so vor, als wäre die Telefonverbindung eine Nabelschnur, die ihrer Mutter noch die kleinste Stimmungsschwankung mitteilte. »Ich bin im Moment nur ein bisschen gestresst«, wiegelte Maja ab.
»Solange man etwas Ordentliches zu essen bekommt und ein Dach über dem Kopf hat, kann es nicht so schlimm sein«, erklärte ihre Mutter.
»Nein â¦Â«
Was als Aufmunterung gemeint war, trug nur umso mehr dazu bei, dass Maja sich gescheitert fühlte. Ihre Mutter durfte niemals von dieser Nacht erfahren. Am liebsten wäre sie ins nächste Flugzeug nach Hause gestiegen. Hätte einen Kredit aufgenommen, sich in Lyngby eine Dreizimmerwohnung gekauft und mit ihrer Mutter die edelsten
Designerstücke ausgesucht, um sie einzurichten. Aber sie wusste, dass das unmöglich war und für sie das weitaus gröÃere Scheitern bedeutet hätte.
»Du weiÃt, wie stolz ich auf dich bin, meine Kleine.«
Maja musste jetzt auflegen, ehe sie die verräterischen Tränen nicht mehr zurückhalten konnte.
»Ich muss jetzt los, Mama ⦠sie rufen mich in die Notaufnahme.«
»Machâs gut, mein Schatz.«
Sie legte auf und verbarg ihr Gesicht unter der Decke. Die Tränen steckten ihr in der Kehle und brannten in den Augen. In dem winzigen Zimmer spürte sie ihre ganze Ohnmacht und schämte sich für ihr Schluchzen.
Doch es lieà sich nicht unterdrücken. Stattdessen rollte sie sich zusammen, zog die Knie an die Brust und vergrub den Kopf in den Kissen. Sie roch den Staub, der in der Luft lag, doch selbst der Staub konnte angenehm riechen, wenn man nichts anderes hatte. Wie die Möbel in einem Ferienhaus. Wie dasjenige in ihrer Kindheit â vor unendlich langer Zeit â, in der die Sommertage kein Ende nahmen und vom süÃen Geschmack nach Brombeeren erfüllt waren.
»Brombeeren â¦Â«, hörte sie sich murmeln, ehe sie in Schlaf fiel.
15
Raureif hatte sich über das Heringsviertel gelegt und die Schieferdächer und kahlen Bäume mit einer milchig weiÃen Schicht überzogen. Als hätte die Nacht ihren kühlenden, lindernden Schleier über die hitzigen Ungeheuerlichkeiten des Tages gebreitet.
Maja öffnete behutsam die Tür und betrat das Treppenhaus. Das Rohypnol des Morgens half ihr, die Angst zu vertreiben. Die Polizei hatte Kvams Tür versiegelt. Sowohl an Tür und Türrahmen sowie an den Wänden waren dort, wo die Polizei nach Fingerabdrücken gesucht hatte, breite, rostrote Streifen zu erkennen. Das würde ein groÃer Tag für den Polizeiassistenten werden, dachte Maja im Vorbeigehen, denn natürlich würden sie ihre Fingerabdrücke finden. Und wäre es möglich, dass auch Blindheim sie in irgend einem Winkel seines Gehirns als
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