Die Anatomie des Todes
Geisterstadt entstehen
könnte.« Er schüttelte den Kopf. »Als wären wir hier auf Mallorca.«
»Ausgerechnet â¦Â«, entgegnete Maja.
»Dann nehmen Sie sich doch einfach ein Hotelzimmer, bis wir etwas für Sie gefunden haben.«
Es blieb ihr also nichts anderes übrig, als auf der StraÃe zu schlafen oder in ihre Wohnung zurückzukehren oder Stig zu bitten, auf seinem Sofa/in seinem Bett/in seinen Armen schlafen zu dürfen. Keine dieser Möglichkeiten kam ihr sonderlich verlockend vor. Sie musste also eine vierte Alternative ins Auge fassen.
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An den Wochenenden wurden im Skansen nur Notoperationen durchgeführt. Daher standen viele Betten in der Chirurgie leer. Erst am Montagmorgen würden die Patienten, die bis dahin nicht gestorben waren, wieder auftauchen. Es würde sicher für Gerede in der Klinik sorgen, wenn sie eines der Krankenzimmer in Beschlag nahm, daher zog sie nur das erstbeste Krankenbett ab.
Ein älterer, zahnloser Mann, der im Nachbarbett lag, richtete sich auf und sah sie verwundert an.
»Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«, fragte sie ein wenig schroff.
Der Mann schüttelte den Kopf, befeuchtete sich mit der Zunge den Gaumen und lieà sich wieder zurücksinken. Maja wickelte das Laken um die Decke und die beiden Kopfkissen und verschwand lautlos aus der Tür.
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Der Aufenthaltsraum der Ãrzte erinnerte Maja an ihre Zeit im Studentenwohnheim. Der Mief der unzähligen gerauchten Zigaretten und der überfüllten Mülleimer bereitete ihr Ãbelkeit.
Es dauerte fast eine Dreiviertelstunde, um das kleine Zimmer in einen gesundheitlich einigermaÃen unbedenklichen
Zustand zu versetzen. Sie machte es sich auf dem Sofa gemütlich und schaltete den Fernseher ein. Sie hatte die Wahl zwischen einem norwegischen Musikquiz und Miami Vice. Ihre Entscheidung fiel auf Don Johnson. Sie stand auf, um die Fenster zu schlieÃen. Im gegenüberliegenden Haus mit den Milchglasscheiben brannte noch Licht. Die Pathologen machten offenbar Ãberstunden, vielleicht waren sie gerade mit der Obduktion von Eigil Kvam beschäftigt. Oder Petra Jakola verbrachte den Freitagabend freiwillig damit, die Ergebnisse von Blindheims Untersuchung auszuwerten.
Sie legte sich vollständig angezogen auf das Sofa und deckte sich zu. Der Fernseher erzeugte eine beruhigende Geräuschkulisse, während sie in den weichen Kissen versank. Im »Notfach« ihrer Tasche fand sie zwei Valium. Die meisten benutzten die kleine Innentasche für Puder und Make-up, ihr diente sie als Notapotheke. Gemeinsam mit dem monotonen Gebrabbel des Fernsehers würden sie die Pillen bald in den Schlaf wiegen.
In diesem Moment meldete sich ihr Handy. Sie ging dran und verfluchtete sich im selben Moment, dass sie es nicht einfach hatte klingeln lassen.
»Hallo, Mama. Wie gehtâs dir?«
»Phantastisch!«, hörte sie die Stimme ihrer Mutter. »Poul und ich kommen gerade aus dem Restaurant. Du ahnst ja nicht, was wir gegessen haben.«
Maja brauchte nicht zu raten, denn die Aufklärung folgte auf dem FuÃe. Sie stellte die Ohren auf Durchzug und schenkte der Unterwelt von Miami mehr Aufmerksamkeit als dem endlosen Redestrom ihrer Mutter. Maja war immerhin froh darüber, dass der Mord an Eigil Kvam nicht in Dänemark geschehen und auch nicht spektakulär genug war, um über die norwegischen Landesgrenzen hinaus Beachtung zu finden. Sonst wäre ihre Mutter wie ein zweiter
Sonny Crocket binnen Stunden bei ihr aufgetaucht, um sie in Sicherheit zu bringen.
»Du kannst mir glauben, dass ich spannende Neuigkeiten für dich habe«, kündigte die Mutter an, während in Miami eine Verfolgungsjagd stattfand.
»Aha â¦Â«
»Jan hat eingewilligt, das Geld aus dem Wohnungsverkauf gerecht mit dir zu teilen.«
»Was sagst du da?« Sie setzte sich auf. »Hast du etwa mit ihm gesprochen?«
»Natürlich habe ich ihn zu mir bestellt!«
»Zu dir bestellt?«
»Ja, also das ständige Briefeschreiben liegt mir nicht, wie du weiÃt«, antwortete ihre Mutter. »Da ist es schon besser, sich die Leute persönlich vorzuknöpfen, und Jan war sehr einsichtig, das muss man ihm lassen.«
Maja grinste in sich hinein. Im Geiste sah sie Jan am niedrigen Esstisch in der Küche sitzen, während ihre Mutter hoch über ihm thronte und ihm mit selbstgerechter Miene die Leviten las. Auf juristische
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