Die Anatomie des Todes
nicht schon so gut wie tot?«
Sie nickte, während sie auf ihn zu ging. Sie richtete den Lippenstift auf ihn, als wäre er eine Waffe, bevor sie flüchtig auf die Zeichnung schaute. »Es gibt mindestens sechs bis acht Schnitte, die wir noch nicht nachgestellt haben. Mach dein Hemd weiter auf.«
Stig öffnete zwei weitere Knöpfe.
Maja beugte sich über ihn. Sie konnte ihn riechen. Sein SchweiÃgeruch vermischte sich mit dem süÃen Vanilleduft des Lippenstifts. Sie zog drei breite Striche quer über seine Brust. Stigs kleiner Brustmuskel zitterte, als sie seine Brustwarze streifte. Der Lippenstift näherte sich seinem Gesicht.
»Möglicherweise trat der Tod ein, als ihm die letzten Verletzungen zugefügt wurden. Kvam war am Ende zu schwach, um sich noch zu wehren.«
Sie führte den Stift über sein Gesicht, auf dem breite Streifen zurückblieben. Sie starrten sich an. Unsicher. Wie wilde Tiere, die plötzlich innehalten, wenn sie ein unbekanntes Geräusch im Gebüsch hören. Niemand wusste, wie dieser plötzliche Hunger entstanden war. Der Lippenstift zerbröselte in ihren Fingern, während sie die letzten Reste aufs Stigs Gesicht verteilte. Es war nicht mehr möglich, die einzelnen Markierungen voneinander zu unterscheiden. So war es ihr gelungen, eine geschminkte Kopie von Kvams gemartertem Gesicht zu schaffen.
Maja starrte es wie gebannt an. Erfüllt von Furcht und etwas anderem, das tiefer wurzelte. Ihre Beine gaben nach, dann fiel sie über ihn her. Sog seine Zunge in ihren Mund, liebkoste seine fettige, rötliche Haut. Sie riss ihm seine Hose herunter, kniff ihn in Kinn und Wangen, entledigte sich ihres Slips und entblöÃte ihr zitterndes Geschlecht. Seine Wärme traf sie wie ein Blitz. Es brannte in ihrem SchoÃ, doch sie konnte nicht anders, als sich mit aller Macht gegen seinen Unterleib zu pressen, immer und immer wieder.
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Der Lippenstift hatte überall seine Spuren hinterlassen, auf den Körpern ebenso wie auf dem Bettzeug. Keiner von ihnen konnte einschlafen. Zum ersten Mal empfand Maja eine Nähe zu Stig. Jetzt teilten sie ein Geheimnis miteinander,
von dem sie niemals jemand anderem erzählen würden. Der Gedanke daran bereitete ihr fast Ãbelkeit. Es glich einer Todsünde, und die Sünde hatte ihre Gemeinschaft geschaffen. Sollte diese tief religiöse Stadt je davon erfahren, würden sie beide vertrieben werden. Den Mörder von Eigil Kvam zu finden, würde ihre Sühne sein, wie sie sich einredete.
Stigs nackter Arm lag beschützend über ihrem Bauch. Eine verblassende Tätowierung in Gestalt zweier Schwalben schmückte seinen Oberarm. Die Schwalben hielten ein Banner in ihren Schnäbeln, das sich über ein rotes Herz spannte. Der Text lautete: Love 4 Ever. Sie fuhr mit dem Finger zärtlich über das Motiv.
»Das hat schon bessere Tage gesehen.«
»Definitiv«, murmelte Stig. »Ich habe schon oft überlegt, es entfernen und darüber ein neues stechen zu lassen.«
»Im Skansen haben wir ausgezeichnete Lasergeräte.«
Stig drückte sie an sich. »Wahrscheinlich lasse ich es einfach so, wie es ist. Als Erinnerung an eine Zeit, in der ich glückliche sechzehn Jahre alt war.«
»Und den Mädchen imponiert hast?«
Stig zuckte die Schultern. »Ach, wir waren total harmlos. Es ging eigentlich nur darum, den anderen Jungs zu beweisen, dass man mutig genug war, um Leif den Punker aufzusuchen.«
Maja konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Leif der Punker?«
Stig erklärte, dass Leif damals der Einzige in der Stadt war, der einem ein Tattoo machte. Den Namen hatte er, seitdem er in Karohose und einem zerrissenen Sex-Pistols-T-Shirt von einer Tattoomesse aus London zurückgekehrt war. Jeder andere, der in solchen Klamotten aufgetaucht wäre, hätte sich erst mal eine Tracht Prügel eingefangen, doch aufgrund seines exklusiven Gewerbes war Leif unantastbar.
Und natürlich hatte niemand, der sich noch ein Tattoo stechen lassen wollte, groÃe Lust, sich mit ihm anzulegen. Er war der allgemein akzeptierte AuÃenseiter der Stadt, ein komischer Vogel, der aber mit gewissem Respekt behandelt wurde.
»Lebt er noch hier?«
»Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, was aus ihm geworden ist.«
»Du willst also nicht zu ihm gehen, um dir ein neues Tattoo stechen zu lassen?«
Stig drehte seinen Arm, um einen Blick
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