Die Anatomie des Todes
schleppten ihn zum Fenster. Maja kletterte hinauf.
»Hältst du das wirklich für eine gute Idee?«, fragte Stig.
»Nein«, antwortete sie und krabbelte durch das offene Fenster.
Stig hievte sich auf die Tischkante und schwang seine Beine hinauf. Der Tisch ächzte bedrohlich unter seinem Gewicht. Er stützte sich an der Hausmauer ab und richtete sich vorsichtig auf. Der Tisch unter seinen FüÃen begann zu schwanken, und im selben Moment, in dem er seinen Fuà auf das Fensterbrett setzte, kippte er um und landete krachend auf den Gartenfliesen.
»Verdammt, verdammt, verdammt!«, hörte sie von Stig.
»Pass auf, hier liegen überall Scherben.«
Maja gab Stig Licht, damit er sich nicht an den Scherben schnitt, die von den geplatzten Weinballons stammten.
»Pfui Teufel, ist das ein Gestank hier!«, stöhnte er.
»Letztes Mal rochâs noch schlimmer«, entgegnete sie. Zumindest der ekelhafte Blutgeruch war verschwunden. »Was glaubst du, warum die kaputt sind?«
Stig ging in die Hocke, um die Scherben zu untersuchen. Er nahm etwas in die Hand, das wie ein kleiner Siphon aussah, und trocknete ihn vorsichtig mit den Fingern. Er versucht hineinzublasen.
»Ich glaube nicht, dass jemand die zertrümmert hat.«
»Sondern?«
»Das Gärrohr, das normalerweise das Kohlendioxid durchlässt, ist völlig verstopft. Der Weinballon ist vermutlich durch den Druck geplatzt, der während der Gärung entstanden ist.« Stig bemerkte, dass die groÃen Scherben völlig verstaubt waren. Das Unglück musste also schon vor
längerer Zeit passiert sein. »Anscheinend hat Kvam einfach keine Lust gehabt, die Sauerei aufzuwischen.«
»Der Wein ist also schon vor seinem Besitzer hinüber gewesen?«
Er nickte. »Kein guter Jahrgang, weder für den Wein noch für den Winzer.«
Stig öffnete den Kühlschrank. AuÃer ein paar Flaschen, über deren trüben Inhalt man nur spekulieren konnte, sowie einem mumifizierten Käserest war er vollkommen leer. Er schloss ihn wieder.
»Wonach suchst du?«, fragte Maja.
Stig öffnete die Tür eines Besenschranks, der sich in der Ecke befand. »Danach.«
Maja kam zu ihm. Die verschiedenen Behälter und Schläuche, die miteinander verbunden waren, erinnerten sie an die Chemieversuche aus ihrer Schulzeit.
»Ein Destillierapparat.«
»Kvams eigene Brennerei?«
Stig schloss nickend die Schranktür.
»Woher kennst du dich mit so was aus?«, fragte sie.
»Mein Vater hat auch gern getrunken«, antwortete er und drehte sich zu ihr um. »Wollen wir nicht weitermachen?«
Sie betraten den Eingangsbereich und betrachteten die Blutflecken unter den Wandleuchten. Maja zog den Obduktionsbericht heraus und blätterte darin. Sie hatte sich bereits Gedanken darüber gemacht, wie und wo alles begonnen hatte.
»Die Tür war nicht immer abgeschlossen, Kvam hat es oft vergessen. Der Mörder dürfte also kein Problem gehabt haben, in seine Wohnung zu kommen.«
»Könnte doch auch sein, dass sich Täter und Opfer kannten«, schlug Stig vor. »Vielleicht hat Kvam ihn selbst hereingelassen.«
Sie bemerkte seine professionelle Wortwahl. Täter klang
neutraler als Mörder. Seine Worte stammten aus der Welt der Journalisten und Polizisten. Gut, dass er dabei ist, sagte sie sich. Der Qualität ihrer Ermittlungen würde das sicher zugutekommen. Dennoch teilte sie seine Vermutung nicht.
»Ich glaube, dass Kvam sofort angegriffen wurde, nachdem er die Tür geöffnet hatte.« Sie begründete ihre Theorie mit den Blutspuren im Eingangsbereich.
»Können die nicht auch vom Täter stammen, bevor er die Wohnung verlie�«, fragte Stig.
Das glaubte sie nicht, vor allem, weil der dickste Fleck unmittelbar neben der Tür war und sich dann weiter in einem schmaler werdenden Streifen den Flur entlangzog. Sie ging davon aus, dass Eigil Kvam eine tiefe Schnittwunde davontrug, als er die Tür öffnete. Vielleicht war es eine der Wunden, die sich über sein Gesicht zog.
»Er riss den Kopf instinktiv zur Seite. Durch diese plötzliche Bewegung ist das Blut auch an die Wand gespritzt.«
Stig beugte sich vor und kratzte mit einem Fingernagel an dem gröÃten Blutfleck. Um die Stelle herum bildeten sich kleine, tropfenförmige Flecken, was darauf hinwies, dass das Blut tatsächlich an die Wand gespritzt
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