Die Anatomie des Todes
Schatten der hohen Halle kam es Maja so vor, als befände sie sich auf dem Grund des Meeres und blicke zur glitzernden Wasseroberfläche empor.
Peik deutete auf die Hubschrauberplattform, die hoch über ihren Köpfen aus dem Rumpf herausragte. Dann zeigte er ihnen die Unterkünfte für die Arbeiter, die den östlichen Teil der Ãlplattform in Anspruch nahmen. In diesem Moment musste Maja daran denken, dass sich Jos Freund Ãivind an einem ähnlichen Ort befinden musste.
»Hat Ãivind Munkejord eigentlich zurückgerufen?«, fragte sie Stig.
»Leider nein.«
»Ist sie nicht schön?«, fragte Peik.
Alle drei hatten bewundernd den Kopf in den Nacken gelegt.
»Der Stolz Norwegens«, entgegnete Stig.
Peik hob beide Arme zur Plattform empor und verkündete mit der Stimme eines Erweckungspredigers: »Hildegun die Zweite, Bezwingerin des Meeres, Herrscherin über
die Kontinentalflächen, die Trägerin des schwarzen Goldes, Mutter unserer Nation, wir verehren dich. Halleluja!«
»Halleluja!«, riefen die Brüder im Chor, worauf die Montagehalle ein fernes Echo erzeugte.
Peik drehte sich zu Maja um. »Also erzähl, was willst du wissen?«
Maja faltete den Zettel auseinander, auf dem sie eine Skizze des Pentagramms gezeichnet hatte. »Hast du hier jemanden gesehen, der so ein Tattoo auf dem Handrücken hat?«
Peik nahm den Zettel und betrachtete ihn nachdenklich. Er drehte ihn in den Händen, ehe er ihn Maja zurückgab. »Glaub nicht. Warum?«
Maja berichtete Peik in aller Kürze vom Einbruch in der Praxis und wie sie herausgefunden hatte, dass die Tätowierung auf dem Handrücken des Einbrechers möglicherweise aus einem russischen Gefängnis stammte.
»Hat einer von den russischen Arbeitern hier vielleicht ein solches Tattoo?«, fragte Stig nochmal.
Peik schüttelte den Kopf. Ein Tattoo auf dem Handrücken habe er kaum je zu Gesicht bekommen. Doch könne es natürlich sein, dass einer der Arbeiter â er zeigte nach oben auf die Plattform â so eines habe, ohne dass er es wisse. Es seien ja immerhin mehrere Hundert hier angestellt, und auf der gesamten Werft gebe es nahezu tausend Arbeiter.
Maja faltete das Blatt wieder zusammen und steckte es sich in die Tasche.
»Ich werde mich mal ein bisschen umhören«, sagte Peik.
»Aber sei vorsichtig«, entgegnete Maja und schaute ihn besorgt an. »Die Sache ist nicht ungefährlich.«
Peik brach in ein tiefes, grummelndes Gelächter aus und drückte Maja so fest an sich, dass sie glaubte, ihre Rippen müssten brechen.
»Ist sie nicht süÃ? Macht sich Sorgen um den kleinen Peik â¦Â«
»Ja, ja, jetzt lass sie wieder los. Du drückst ihr noch die Luft ab«, entgegnete Stig.
Peik lieà sie los und gab Stig den Klaps auf die Schulter zurück, den er offenbar nicht vergessen hatte. Stig versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, doch ganz offensichtlich blieb auch ihm kurz die Luft weg.
»Wenn der verdammte Russe hier ist, dann finde ich ihn auch«, versprach Peik.
Er drehte sich um und ging dem Ausgang der Halle entgegen. »Während meiner Schicht macht hier niemand Ãrger!«, rief er.
Stig schaute zu Maja hinüber und nahm seinen Helm ab. »Hab ich dir schon erzählt, dass er bei der Geburt zu wenig Sauerstoff bekommen hat?«
Maja lächelte. »Bei euch ist das wohl eher etwas Genetisches.«
Â
Am äuÃersten Kai lagen die groÃen Fangschiffe mit ihren Ring- und Schleppnetzen. Die Fritten, die sie sich an der Imbissbude gekauft hatten, waren genauso salzig und fettig, wie man sie an diesem Ort erwarten durfte.
»Ob die alle von hier kommen?«
Stig zuckte die Schultern. Maja zählte insgesamt zwölf Schiffe. Viele von ihnen waren frisch gestrichen, hatten ein weiÃes Deck und einen marineblauen Rumpf. Die Schiffe strahlten etwas Stolzes und Kraftvolles aus, als lieÃen schon ihre scharfen Linien und stählernen Flanken keinen Zweifel an ihren Fähigkeiten. Die ultimativen Raubtiere des Meeres und das oberste Glied in der Nahrungskette. Sie rochen nach ihrer letzten Mahlzeit, nach gefischten Makrelen und Sandaalen. Maja und Stig spazierten am Kai entlang und studierten die Namen der Schiffe. Nur vier von ihnen kamen aus dem Ausland, allesamt aus Anrainerstaaten der Nordsee. Sogar ein dänisches Schiff war darunter, ein Trawler namens
Marianne aus
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