Die Anatomie des Todes
Rebekka.
»Stimmt doch, oder etwa nicht?«
18
Stig musste unwillkürlich lachen. »Die Russenmafia mitten unter uns? Komm, hör auf! Die haben dich doch nur zum Narren gehalten.«
Das konnte sich Maja nicht vorstellen. Leif und Rebekka wirkten nicht wie Leute, die mit so etwas Scherze machten, worüber sie Stig ziemlich gereizt in Kenntnis setzte.
Die übrigen Gäste im Konditoreicafé begannen die Köpfe nach ihnen umzudrehen. Dies war ein Ort, an dem man in Ruhe eine heiÃe Schokolade oder eine Cremeschnitte zu sich nahm, ohne von lautstarken Diskussionen über Gewaltverbrechen gestört zu werden.
Stig dämpfte seine Stimme. »Leif ist zweifellos eine Kapazität, wenn es um Tätowierungen geht, aber das macht es nicht wahrscheinlicher, dass Kvam von einem russischen Gangster ermordet wurde. Wo soll da das Motiv sein?«
»Woher soll ich das wissen?«, fragte sie wütend. »Aber ich bin mir ganz sicher, dass das die Tätowierung war, die ich gesehen habe.«
Sie legte die Kuchengabel beiseite, der Appetit war ihr vergangen. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass Stig sie auslachen würde, und wäre am liebsten auf der Stelle gegangen. Es war ihr ein Rätsel, warum er auf einmal so engstirnig war. Er beugte sich vor und nahm ihre Hand. Sie lieà es widerwillig geschehen.
»Ich bezweifle ja nicht, was du gesehen hast. Ich versuche nur, eine logische Erklärung dafür zu finden.«
Sie schaute ihm nicht in die Augen, obwohl er den Blickkontakt zu ihr suchte.
»Kann schon sein, dass ich es bin, der eine beschränkte Sicht â¦Â«
Sie nickte.
»Aber ich sehe einfach den Zusammenhang nicht.«
Sie entzog ihm ihre Hand und verschränkte die Arme. Er hatte recht. Es gab zu viele lose Fäden, die einfach nicht zusammenpassen wollten. Das war es, was sie am meisten irritierte.
»Lass uns noch mal festhalten, was wir definitiv wissen«, sagte sie. Statt zu antworten, begann Stig sich über ihren Kuchen herzumachen.
»Okay«, fuhr sie fort, »er hat einen Einbruch begangen, er trägt das Tattoo eines Mörders, ist womöglich Russe, fährt ein groÃes Auto â¦Â«
»Zusammen mit einem anderen«, fügte Stig mit vollem Mund hinzu.
Sie nickte. »Und vielleicht haben sie Kvam getötet. Was verrät uns das über die Täter?«
Stig kaute zu Ende, ehe er antwortete: »Könnte halt irgendein Fremder sein, der mit einem gestohlenen Auto die Gegend unsicher macht.«
Sie schüttelte energisch den Kopf.
»Ein paar Junkies auf der Suche nach Stoff?«
Erneutes Kopfschütteln.
»Dann stehen wir wieder vor der Frage, was einen russischen Gangster in diese Gegend verschlagen haben sollte«, sagte Stig.
»Immerhin ist das hier eine Hafenstadt«, gab Maja zu bedenken. »Wer weiÃ, was hier alles nach Einbruch der Dunkelheit an Land gebracht wird.«
Stig lehnte sich nachdenklich zurück. »Vielleicht hat sich Kvam mit den falschen Leuten eingelassen. Oder er ist versehentlich Zeuge von etwas geworden, das er nicht hätte sehen oder hören dürfen.«
Sie zuckte die Schultern. Vielleicht hatte Stig recht, vielleicht auch nicht.
»Wo gibt es hier in der Stadt die meisten Ausländer?«, fragte sie.
»DrauÃen in RÃ¥gebjerg, bei der Müllverbrennungsanlage, gibt es ein Flüchtlingslager, aber die meisten von ihnen kommen aus Somalia.«
»Und sonst?«
Stig leerte seine Kaffeetasse. Als er sie wieder absetzte, lächelte er. »Ich glaube, ich weiÃ, wo sich so ein Typ verstecken könnte. Komm!«
Er stand auf und verlieà das Café. Maja war gezwungen, dasselbe zu tun. Sie war schon fast wieder so verärgert wie vor fünf Minuten.
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Sie nahmen ihren Wagen und fuhren über die Brücke in Richtung Heringsviertel. Sie hatte versucht, ihm das Ziel ihrer Fahrt zu entlocken, doch er sagte kein Wort. Als sie nicht lockerlieÃ, fragte er sie nur grinsend, wo ihre Geduld geblieben sei. Jetzt spielte er wieder ihr Spiel, dessen Ziel es offenbar war, einen Mord aufzuklären. Manchmal wirkte es so, als hätten sie sich dieses Spiel nur ausgedacht, um ihre wahren Gefühle zu verbergen.
Stig hielt sich sein Handy ans Ohr. »Hi, Kleiner, wo steckst du?«, rief er.
Maja blickte verstohlen zu ihm hinüber. Sie fragte sich, ob sie nur eine spannende Episode in seinem gemütlichen, banalen Leben war.
Offenbar
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