Die Anatomie des Todes
inzwischen bei seiner Freundin eingezogen sei, was streng genommen nur für seine Post und seinen Bullterrier galt, da er selbst auf dem Gasfeld arbeitete und Geld verdiente, um das Haus instandzusetzen.
Als Belohnung für diese freimütigen Auskünfte stellte sie ihm das Gesundheitsattest aus.
Während sie wenig später eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 11,4 Stundenkilometern auf dem Laufband erreichte, ärgerte sie sich, dass sie vor lauter Konzentration auf den Hauskauf vergessen hatte, Sverkmo zu fragen, ob er Munkejord kenne. Das hätte vielleicht auch endlich die Frage nach Munkejords Aufenthaltsort beantwortet. Im GroÃen und Ganzen glaubte sie Sverkmos Version mit dem Makler, weil sie mit den Erklärungen von Eva Lilleengen übereinstimmte.
Sie konnte sich auch ausgezeichnet an Sverkmos Kollegen erinnern, der sie letzte Woche wegen eines Offshore-Attests aufgesucht hatte. Bengtson ⦠oder Bjørnson, jedenfalls war es ein Nachname mit B gewesen. Er besaà ein Haus in der gleichen Gegend wie Sverkmo, und auch er lieà seine Post an eine andere Adresse schicken. Sie bedauerte, dass sie den übrigen Adressen der in letzter Zeit ausgestellten Offshore-Atteste nicht mehr Beachtung geschenkt hatte. Vor allem, weil sie das Gefühl hatte, dass auffallend viele c/o-Adressen darunter gewesen waren.
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Die Schneeflocken tanzten im Licht ihrer Autoscheinwerfer, als sie sich auf dem Heimweg vom Fitnessstudio befand. Die Fahrbahn war bereits von einer hübschen weiÃen Decke überzogen. Der Gedanke an die Gesundheitszeugnisse lieà sie nicht los. Sie wusste, dass sich im Ãrztehaus die Kopien der Offshore-Atteste befinden mussten, und zwar im Archivschrank der Sekretärin. Ob sie selbst oder Milten sie ausgefertigt hatten, spielte dabei keine Rolle. Doch jetzt, da es bereits dunkel war, verspürte sie wenig Lust, zum Ãrztehaus zurückzufahren. Andererseits wäre es unmöglich, am helllichten Tag nach ihnen zu suchen oder gar Edel Raaholdt um den Schlüssel zum Archiv zu bitten.
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Maja parkte das Auto ein Stück weit die StraÃe hinunter. Es bestand kein Grund, unnötige Aufmerksamkeit zu erregen, indem sie den privaten Parkplatz vor dem Eingang benutzte. Die Stille auf der menschenleeren StraÃe veranlasste sie, ihre Hand um den Injektor in der Jackentasche zu schlieÃen. Die Fentanylampulle befand sich immer noch in der Kammer und wartete nur auf den Druck ihrer Finger.
Dem jungfräulichen Schnee nach zu urteilen, der den Parkplatz bedeckte, war in den letzten Stunden niemand hier gewesen. Daher war es höchst unwahrscheinlich, dass sich zu diesem Zeitpunkt noch irgendeine Menschenseele in dem dunklen Gebäude befand. Dennoch hatte sie wacklige Knie, der Speichel in ihrem Mund war verschwunden und hatte nichts als einen metallischen Geschmack zurückgelassen.
Sie schloss die Tür auf und zog sie rasch hinter sich zu. Obwohl es stockdunkel war, kannte sie den Weg zur Rezeption so gut, dass sie ihn problemlos zurücklegen konnte. Sie warf sich fast über den Schreibtisch von Edel Raaholdt und knipste ihre Lampe an. Ihr mattes Licht beruhigte Maja nur ein wenig. Sie öffnete die oberste Schreibtischschublade. Zwischen den Vordrucken lag Edels Schlüsselbund, an dem sich auch der kleine, blaue Schlüssel zum Archivschrank befand.
Die Kopien der Offshore-Atteste zu finden war ein Kinderspiel. Die korrekte alphabetische Reihenfolge in Betracht gezogen, stand auÃer Frage, dass nicht Linda, sondern
Edel selbst sie eingeordnet hatte. Sie nahm sämtliche Kopien aus den Hängeordnern und legte sie übereinander auf den Schreibtisch. Sie musste sich beeilen, zum einen, weil sie nicht wusste, wann der Wachdienst auf seiner üblichen Runde hier vorbeikommen würde, doch vor allem, weil sie alle Mühe hatte, ihre Dunkelheitsphobie unter Kontrolle zu halten. Einmal mehr verfluchte sie ihre Ãngstlichkeit.
Dafür besaà sie eine andere Fähigkeit, die ihr jetzt zugute kam. Diese Fähigkeit hatte sie im Grunde ihrem schlechten Orientierungssinn zu verdanken, der ihr bei ihren Hausbesuchen schon oft ein Hindernis gewesen war. Daher griff sie inzwischen zu einer Methode der Mnemotechnik, die sie bereits bei den Schachnotizen mit ihrem GroÃvater angewandt und während ihres Studiums weiterentwickelt hatte.
Während der ersten Semester hatte sie viel Anatomie gebüffelt und Probleme gehabt, sich die
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