Die andere Haut: Roman (German Edition)
kennst.“
Sie kennt ihn noch im Frühling. Er hat nicht gelogen. Das gepresste Kleeblatt hängt hinter Glas in ihrem Flur. Mit ihm schleicht sich langsam die Liebe ein, obwohl Lara und David es erst nicht wollen. Aber so ist es, manchmal hat man keine Wahl.
Sie beendet die Liaison mit Marcel, der Kontakt mit Ricardo versickert im Sand. David ist Zukunft und Gegenwart. Lässt sie sein und leben und hält sie, wenn sie zu fallen droht. Spinnt mit ihr Geschichten. Sie schreiben und lachen und filmen einander beim Gedichte lesen. Baudelaire, Apollinaire, Celan. Auch eigene, die sie ohne großes Nachdenken spontan auf lose Zettel kritzeln. Lara eine Zeile, dann wieder David, Zeilen, die sie jeweils durch Umknicken verbergen, sodass der andere sie nicht sieht. Faltspiel, wie diese gezeichneten Figuren, als sie Kinder waren.
Meine Seele aus Zucker (Lara)
Ein Fremder läuft durch Nebel (David) Tief unten im Meer
Gewitterwolkenhimmel
Verborgen in einer Muschel
Nasses Gras und alles größer als du und ich
Wartet auf deine Küsse
Jemand wirft Steine
Wartet, lacht und weint
Ganze Tage verbringen sie im Bett mit Wein und DVDs und Büchern. Reden über das, was sie wollen vom Leben, die große Freiheit und dass es sie irgendetwas schaffen lässt, was bleibt. Ein Buch, einen Film, Kinder oder auch Spuren in anderer Leute Leben. Sie diskutieren darüber, ob das ein Widerspruch ist, so viel zu wollen und Freiheit als Sahnehäubchen obendrauf. Inwiefern Freiheit nicht doch an Bedürfnislosigkeit gekoppelt ist, „just another word for nothing left to lose“.
„Wir brauchen viel mehr Wörter“, findet David schließlich und seine Zunge ist schwer vom Wein.
„Unbedingt!“, stimmt Lara ihm zu. „Für Freiheit, die heißt, nichts und niemanden zu brauchen.“
„Zum Beispiel. Die gibt es ja eigentlich nicht.“
„Na ja.“ Lara trinkt einen Schluck. „Als theoretisches Konstrukt.“
„Ja, gut. Wie nennen wir die? Alleinigkeit?“
„Oje. Na ja. Klingt seltsam. Gar nicht so leicht.“
„Wir finden schon was. Du und ich. Freiheitswortkämpfer! Dichter!“
Lara kichert. „Lallst du?“
David bemüht sich um einen ernsten, festen Ton: „Werd nicht frech, Fräulein, ja! Lass uns erst mal sammeln. Also: Freiheit, immer zu tun, was man möchte.“
„Ist ‘ne Utopie!“
„Na sicher, aber was wäre die Welt ohne Utopien?“ Jetzt schlägt seine Stimme über.
„Sie stünde still!“
„Eben. Also?“
„Hmmm. Lustlebung?“
„Das klingt … irgendwie nach was anderem.“ David grinst, und Lara entdeckt das unverschämte Glitzern in seinem Blick, das sie so liebt.
Sie lächelt sanft. „Auch gut, oder?“
„Na klar! Weiter, was noch?“
„Hm. Freiheit im Denken und in der Moral. Dass für dich nicht gelten muss, was für mich gilt und umgekehrt. Dass Richtig und Falsch möglicherweise flexible Werte sind.“
„Jetzt wird es schwierig.“
„Natürlich. Leicht ist ein Luftballon, nicht das Leben.“
„Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden“, zitiert David mit jugendlicher Ernsthaftigkeit und schenkt ihrer beider Gläser wieder voll. Dann scheint ihm ein Gedanke zu kommen: „Sag – kann das sein, dass Freiheit auch ein ziemliches Chaos verursacht?“
„Ordnung schafft Grenzen, na logisch.“
„Aber doch auch Raum, du Chaotin!“
Inbrünstig: „Oh Gott. Ich will Raum ohne Grenzen!“ Erschöpft wirft sie sich in die Kissen.
„Du wirst dich entscheiden müssen.“
„Tatsächlich? Aber noch nicht jetzt, oder?“ Traumverloren.
„Wir haben Zeit.“
So fühlt sich das Leben an, wenn man jung ist und gesund. Als läge einem die Ewigkeit zu Füßen.
„Wahrscheinlich gilt das auch für andere Dinge“, überlegt Lara nach einer kleinen Pause. „Dass wir mehr Wörter brauchen. Wenn wir einander verstehen wollen zumindest. Wir beide und alle anderen. Dazu braucht es wohl Etiketten und all das, du weißt schon. Etwas, auf das wir uns alle einigen, um ein wenig Realität zu teilen. Es muss mehr Nuancen und Abgrenzungen geben bei Liebe zum Beispiel. Bei Treue. Lust. Betrug.“
David sieht sie lange an. „Wirst du mich je betrügen?“ „Nein! Ich hoffe nicht.“
„Mit anderen Männern schlafen?“ Tatsächlich. Er hat gemerkt, dass sie auf den Unterschied anspielt.
„Vielleicht. Oder auch Frauen, wer weiß. Ich glaube nicht, dass das meine Liebe zu dir berührt. Nicht so, dass es sie zerstören kann. Und du?“
David schweigt.
Sie sieht ihn an. „Kannst du damit umgehen?“
„Ich
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