Die andere Haut: Roman (German Edition)
glaube.“
„Es kann sein, dass es nie passiert.“
„So was passiert nicht, du tust es. Oder nicht.“
„Ja.“
„Und wenn ich es tue? Ist es dasselbe? Kannst du das denn? Mich teilen?“, will er wissen.
„Dich? Das kannst du nur selbst, wenn überhaupt. Wir werden sehen. Das Exklusivrecht auf deinen Körper ist jedenfalls nicht der Grund, warum ich mit dir zusammen bin.“
„Ohooooooo.“ Grinsend, wegen des gestelzt klingenden Satzes. „Auch nicht ein kleiner?“ Sie überlegt. „Nein, ich glaube nicht. Ich will dich an meiner Seite wissen, aber nicht jede Minute. Na ja. Nicht jede Minute physisch jedenfalls.“ David lacht und fällt über sie her: „Als Gespenst bin ich immer bei dir! Und gucke dir zu, wenn du mit einem anderen poppst! Nur dass du’s weißt!“
Lara kichert. „Oje.“
„Dann macht’s keinen Spaß mehr, was?“
„Ich fürchte.“
David trinkt einen großen Schluck. „Schreiben wir ein Wörterbuch? Oder besser ein Lexikon? Ist das ein Unterschied? Schon, oder? Das eine sammelt nur und erklärt nicht so viel. Ein Lexikon also. Sind wir klug genug? Mit all dem Kram, diesen verschiedenen Lieben und Treuen und Freiheiten?“
Lara lacht und küsst ihn auf den Mund. „Ja, das wäre es. Wir finden die Dinge. Alle!“
Hört irgendwann der Hunger auf? Mit dem dreißigsten Geburtstag oder einige Jahre später? Ist das ein Generationending? Oder gibt es einfach die Hungrigen und die Satten und all die dazwischen mit diesem ganzen Appetit und dieser Gier und dieser schlichten Lust auf das Leben, die Liebe, den Rausch und die Welt? Und noch viel mehr? Bis zum Horizont und noch weiter mit dir und allein und über den Tod noch hinaus. So reden und lachen, denken und lieben sich Lara und David manchmal in den Tag hinein, stundenlang nebeneinander, ohne Überdruss, wenngleich auch manchmal Tränen fließen, weil Ehrlichkeit Verletzungen verursacht und Liebe ja sowieso. Dann wieder geht jeder allein seiner Wege, bewusst und ohne Angst. Weil bald eine große Klarheit herrscht: Du und ich, wir gehören zusammen. So weit weg kannst du nicht sein, dass ich nicht bei dir bin.
Melek ist erleichtert: „Puh, dann haust du uns also nicht ab nach Südamerika!“
„Wäre ich doch eh nicht!“
„Weiß man’s? So, wie du drauf bist.“
„Wie bin ich denn?“
„Triebgesteuert.“ Melek lacht. „Und durchgeknallt.“
Lara wirft ein Kissen nach ihr. Sie ist zurückgekommen. Und noch mehr.
Ricardo fügt sich in ihr Fühlen wie die Erinnerung an vergangene Sonnentage. An Brausepulvergeschmack auf der Zunge. Süß und prickelnd und fern.
Kapitel 15
Ricardo
L ara ist eine halbe Stunde zu früh beim Busbahnhof. Tritt von einem Bein auf das andere, knetet ihre Hände, unsicher und unbeholfen wie eine Fünfzehnjährige vor dem ersten Date. Sie setzt sich auf eine Betontreppe, starrt auf den Kies zu ihren Füßen. Denkt an David und, ob ihre Liebe das aushalten wird, was sie tun möchte und wird. Belügt sie sich selbst, wenn sie sich einredet, sie bräuchte nur dieses eine letzte Treffen, diesen einen letzten Taumel, um ihr Verlangen ein für allemal zu stillen? Sie seufzt. Wer will das schon, ein Leben ohne Sehnsucht? Eben. Alles eine Frage des Ausbalancierens von Schmerz.
Dann kommt Ricardo an. Sie weiß nicht, warum er darauf bestanden hat, zu ihr zu fahren, mehrere Stunden lang, obwohl sie früher oder später sowieso zurück in die Hauptstadt gemusst hätte, weil von dort ihr Rückflug startet. Vielleicht, weil die Orte dort mittlerweile Malins Orte sind. Er habe ohnehin vorgehabt, ein paar Tage an der Küste zu entspannen, sagte er Lara.
Jetzt steigt er aus dem Bus, blickt sich suchend um. Entdeckt Lara und geht auf sie zu. Langsam, so als bedeute jeder Schritt einen neuen Entschluss. Als er vor ihr steht, umarmt er sie mit einer Förmlichkeit, die sie frieren lässt. Was hat sie sich eingebildet? Ein Feuerwerk? Einen Sog und rauschhafte Klarheit? Ja.
Sie bringen seine kleine Reisetasche in ihr Hostelzimmer. Stehen unschlüssig voreinander.
„Bist du müde?“, fragt Lara.
„Nein. Aber etwas hungrig. Lass uns was essen gehen.“
„Okay.“ Ist sie enttäuscht? Ein wenig.
Sie laufen zu einem kleinen Hafenbistro, bestellen Maisfladen, Salat und Bier. Langsam wird es Abend. Im Wasser glitzern die Spiegelbilder der Straßenlaternen und auch der Mond. Ein paar Möwen quietschen, irgendwo spielt ein Mensch Klavier. Lara antwortet auf Ricardos Fragen.
„Wie lange bist du noch
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