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Die andere Seite des Glücks

Die andere Seite des Glücks

Titel: Die andere Seite des Glücks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seré Prince Halverson
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wollen ihn mit dem neuen Konzept wiederbeleben, weil wir meinen Mann nicht wiederbeleben können. Und das Schild draußen? DAS LEBEN IST EIN PICKNICK ? Klar, manchmal. Aber bisweilen muss man auch sein Lager in einem stacheldrahtgesicherten Internierungslager aufschlagen.« Ich zog Sergios Pass aus der Tasche und wedelte damit in der Luft. »Weil der Mann, der diesen Laden gegründet hat, ein herzlicher, hart arbeitender, Amerika liebender Einwanderer aus Italien – also dieser Mann war hierher gezogen, um ein neues Leben zu beginnen. Doch im Zweiten Weltkrieg wurde er auf einmal als ›Enemy Alien‹ angesehen und in ein Internierungslager gesteckt. So ist das. Anscheinend waren nicht nur Japaner Opfer dieser schändlichen Verletzung der Menschenrechte. Aber niemand weiß davon, weil niemand darüber spricht!«
    Joe senior stand auf und richtete warnend den Zeigefinger auf Blaire. »Stellen Sie das Ding aus.« Sie nickte und drückte die Stopp-Taste. Er kam mit Tränen in den Augen zu mir und zeigte auf den rosa Pass. »Wo hast du den gefunden?«
    »In einem der Kartons im Abstellraum.«
    »Den hab ich noch nie gesehen.« Er nahm ihn, setzte sich wieder hin und schlug ihn auf. Und mit dieser Handlung schienen sich jene Türen zu öffnen, die ihm und Marcella fast sechzig Jahre lang verschlossen geblieben waren. Mit tränennassen Augen starrten sie beide das Dokument an.
    »Er ist tot«, sagte ich. »Aber seine Geschichte … die sollte erzählt werden.«
    »Was interessiert dich denn schon unsere Familie?«, sagte Marcella.
    »Marcella? Diese Familie ist meine Familie. Und das weißt du. Das wisst ihr beide.«
    Sie starrten mich an. David kam an den Tisch, strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr und legte beide Hände auf meine Schultern. »Ella ist ein großes Glück für diese Familie. Das sind deine eigenen Worte, Ma.«
    Marcella tupfte sich nickend mit dem Taschentuch über die Augen. » 21 . Februar 1942 «, sagte sie schließlich. »Sie haben die Väter von uns beiden abgeholt. Meinen haben sie in Hausschuhen mitgenommen. Er durfte nicht einmal mehr ins Haus gehen und sich Schuhe anziehen.« Jetzt verstand ich auch ihre Reaktion auf Zachs Hausschuhe.
    Blaire nahm den Stift in die Hand, fragte Marcella: »Darf ich?«
    Marcella sah Joe senior an und sagte: »Nicht heute. Vielleicht ein andermal. Aber eins möchte ich noch sagen. Ich erinnere mich noch heute an ein Schild am Postamt: SPRICH NICHT DIE SPRACHE DES FEINDES ! SPRICH AMERIKANISCH ! Ich hatte in der Schule gerade angefangen zu lesen, und wir mussten alle Englisch lernen. Sogar zu Hause haben wir aufgehört, italienisch zu sprechen. Wir fühlten uns schuldig.«
    Joe senior erzählte, dass von dieser Regelung mehr als sechshunderttausend italienische Einwanderer betroffen waren. Bei vielen wurde das Haus durchsucht. »Sie durften sich nicht weiter als fünf Meilen von zu Hause entfernen, und nach acht Uhr abends war Ausgangssperre. Als wären sie Kinder.« Er sagte, dass Tausende Italoamerikaner, die an der Küste wohnten, ins Landesinnere ziehen mussten, weil die Regierung sie nicht für vertrauenswürdig erachtete, um sie an unserer Küste wohnen zu lassen. Viele Fischer verloren ihre Lebensgrundlage. Einige kamen nach Elbow.
    »Sind Ihre Väter denn unbeschadet nach Hause zurückgekehrt?«, fragte Blaire.
    »Ja und nein«, sagte Joe senior. »Mein Vater kam nach dreiundzwanzig Monaten wieder. Aber er hatte seinen Elan verloren und war sehr ruhig geworden. Er arbeitete noch härter als zuvor, wollte aber nie über diese Zeit reden.«
    »Mein Vater.« Marcella wischte sich wieder mit dem Taschentuch über die bereits geschwollenen Augen. »Er ist mit einem großen Schamgefühl nach Hause gekommen. Unsere Familie war für immer verändert. Er war immer so stolz gewesen, stolz auf Italien, stolz auf Amerika. Und Joe senior und ich?« Marcella legte ihm die Hand auf den Rücken und beugte sich zu uns hin. »Wir waren ja noch Kinder, und das Erste, was ich damals in der Schule zu ihm sagte, war« – und ihre Stimme wurde zu einem Flüstern – »›Haben sie deinen Papa auch abgeholt?‹ Und er hatte genickt. Das war alles. Wir haben auch später nie darüber gesprochen. Aber« – sie verschränkte die Hände – »es hat uns miteinander verbunden. Es war unser Geheimnis. Doch nun ist unser Geheimnis unser Fluch.«
    »Mein Bruder«, sagte Joe senior, »ist in dem Krieg gefallen. Ein Mann opfert seinen Sohn und wird wie ein Feind behandelt. Und wissen

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