Die andere Seite des Glücks
nicht glauben kann«, sagte ich. »Insgeheim denke ich immer noch, dass du irgendwo wieder auftauchen wirst. Ist das nicht komisch?
Es gibt so vieles, was ich nicht über dich wusste, mein Liebling. Das tut mir so leid. Ich wünschte, wir könnten reden … Ich werde versuchen, wieder alles in Ordnung zu bringen. Ich möchte das Durcheinander beseitigen, in das wir Annie und Zach gestürzt haben.« Ich fuhr mit dem Finger über die Buchstaben auf dem Stein.
Joseph Anthony Capozzi junior
. Die gleichen Buchstaben, die die Sommersprossen auf meinem Arm bildeten, wie er gesagt hatte. »Ich liebe dich, mein Schatz. Ich war wütend über einiges, aber ich liebe dich. Und ich werde die Kinder zurückbringen.« Ich nahm zwei Kornblumen mit ins Auto und steckte sie in die Sonnenblende. Callie schnüffelte daran. »Bitte, friss die Kornblumen nicht«, sagte ich. Und sie berührte sie auf dem ganzen Weg nach Las Vegas nicht wieder.
Ich fuhr und fuhr und dachte über die Kornblumen nach. Nach der fünften Fehlgeburt hatte mein Arzt vorgeschlagen, ich solle viel laufen. Was nichts half, doch ich lief trotzdem. Henry und ich hatten beschlossen, uns scheiden zu lassen. Ich wusste nicht, was ich als Nächstes tun sollte, wohin ich gehen sollte, wer ich sein sollte. Also bin ich gelaufen.
Eines Tages, als ich an den riesigen Kornblumenfeldern in Encinitas vorbeikam, bemerkte ich einen Wanderarbeiter, der aufgehört hatte, Blumen abzuschneiden und mich beobachtete. Er ging bis fast zu dem Fußpfad, auf dem ich lief, und als mich ihm näherte, sagte er: »Warten Sie, Miss.« Er bückte sich, hob einen dicken Strauß blauer Blumen auf und hielt ihn mir lächelnd hin. »Für Sie, bitte nehmen Sie.« Ich blieb mit offenem Mund stehen. »Nein, ich …«
»
Por favor
. Jeden Tag sind Sie traurig.
Triste
. Wunderschöne Blumen,
si
?
Esperanza
. Wie sagen Sie auf Englisch? Hoffnung? Sie bedeuten Hoffnung.«
Ich nahm die Blumen und hielt sie wie ein Kind im Arm. Ich musste lächeln. Am nächsten Tag waren alle Wanderarbeiter, auch mein Freund, weg. Nach Norden weitergezogen, stellte ich mir vor. Und plötzlich wollte ich bei ihnen sein, mich am Tag in den Blumenfeldern verlieren und am Abend mit ihnen am Lagerfeuer plaudern, immer unterwegs. Ein hartes Leben zwar, aber eines mit Kameradschaft. Und so hatte ich meine Sachen in den Jeep gepackt. Natürlich hatte ich nicht wirklich vorgehabt, den netten Wanderarbeiter ausfindig zu machen, den einzigen Menschen, der instinktiv gewusst hatte, wie mein Leid zu lindern war. Doch ich hatte darin ein Zeichen gesehen – wie das verzweifelte Menschen oft tun –, irgendetwas zu machen. Nach Norden zu fahren, um meine wahre Bestimmung zu finden. Vielleicht einen Job als Wildhüterin von Junglachsen in Alaska. Und dieser verrückte Impuls hatte mich nach Elbow gebracht, zu Joe, zu Annie und zu Zach. Genauso hoffte ich nun, dass mein verrückter Impuls, nach Las Vegas zu fahren, mich abermals zu Annie und Zach bringen würde.
32. Kapitel
Ich fuhr auf dunklen Wüstenstraßen und schnurgeraden einsamen Landstraßen. Mein Blick wanderte oft hinauf in den hell glitzernden Nachthimmel, an dem die Sternschnuppen genauso umherflitzten wie in meinem Kopf die Gedanken an Joe und die Kinder und die Capozzis und Paige.
David rief mich auf dem Mobiltelefon an. »Wo bist du?«
»Irgendwo zwischen einem Feigenkaktus und einem Josuabaum. Und der nächste Kaktus ist in weiter Ferne. Also bitte, halt mich wach, erzähl mir von Max.«
Ich hörte ihn mit Pfannen in der Spüle klappern. »Ich hatte die ganze Sache schon völlig vergessen, bis heute. Joe hatte den Hund geliebt. Armer Joe … Er war mit Max über Jasper Williams’ Grundstück gelaufen. Jasper war das größte Arschloch in der ganzen Stadt.«
»Kenne ich ihn?«
»Er ist schon vor Jahren gestorben. Alle gingen ihm aus dem Weg. Er war ein pensionierter Militärtyp. Aber Joe war vielleicht elf und hatte gerade seine erste Kamera bekommen, und von Jaspers Grundstück aus hatte man den besten Blick auf den Fluss. Er hatte Joe angeschrien, weil der seinen Grund und Boden betreten hatte. Dabei liefen alle in Elbow über die Grundstücke der anderen, es war ein Zeichen nachbarschaftlicher Eintracht. Anscheinend hatte Williams ein paar Hühner verloren und machte Max dafür verantwortlich, was lächerlich war, denn Max tat keiner Fliege was zuleide. Er schrie: ›Ich hab euch verdammten Spaghettifressern schon oft gesagt, dass ihr meinem Grundstück
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