Die andere Seite des Glücks
ins Telefon.
Sie legte auf. Ich nahm sie von der Küchentheke runter auf den Arm. Ihr samtweiches Haar kitzelte an meinem Hals. Sie duftete nach dem Pfirsichpuder für Mädchen, das ich ihr nach einigem Betteln gekauft hatte. Mein lieber Engel im SpongeBob-Schlafanzug. »Guten Morgen, Sonnenschein.«
»Guten Morgen, Mommy.«
»War das Nonna?«
»Nein.«
»Lucy?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Ist das eine Rätselstunde?«
Wieder schüttelte sie den Kopf.
»Dann spuck’s aus, Schätzchen. Onkel David?«
»Nein, du Dummi.« Sie wuschelte mir oben auf dem Kopf mit der Hand in den Haaren, als wäre sie die Erwachsene. »Es war Mama.«
7. Kapitel
»Annie hörte auf, mir in den Haaren zu wuscheln, und sagte: »Was ist denn, Mommy?«
Ich schüttelte den Kopf und zwang mich zu dem Lächeln, das mir den Gehorsam verweigerte und sich nicht freiwillig zeigen wollte. »Nichts.«
»Du magst Mama nicht, stimmt’s?«
»Na ja …« Ich wählte meine Worte mit Bedacht, eliminierte die Tirade in meinem Kopf, so dass
Verdammt richtig, ich ertrage ihren Anblick nicht, ich will nicht, dass sie dich anruft oder berührt oder kennt
nicht über meine Lippen kam, sondern nur der mühsam zusammengestückelte Satz: »Ich … ich kenne sie nicht.« Und das:
Aber wie sollte ich auch, wo sie euch nicht ein einziges Mal in den letzten drei Jahren besucht oder wenigsten angerufen hat? Nette Mutter, ihr wart ihr anscheinend egal
, kam heraus als: »Aber sie … scheint … nett zu sein.« Wahrheit klingt anders.
Doch Annie, süß und aufrichtig, bestritt hoffnungsvoll ihren Teil der Unterhaltung. »Sie ist sehr nett. Sie mag dich. Ich glaube, ihr könntet Freunde werden, so wie du und Lucy.« Die Handflächen nach oben, zuckte sie mit den Schultern, als wolle sie sagen:
Wo ist das Problem?
»So, du magst sie also, ja?« Ich kitzelte sie so lange, bis sie kreischte, dann ließ ich sie runter. »Wie wär’s mit Frühstück?«
»Zachosaurus!« rief Annie, ganz die große Schwester, lief los und glitt rutschend zu ihm hin. Er war gerade im Schlafanzug in der Tür erschienen, hatte seinen Bubby und den Brontosaurus in der Hand, und seine Haare standen in allen Richtungen ab, wie bei einem verwirrten Kompass. Ich nahm ihn auf den Arm und sog seinen Duft ein. Zachosaurus. Niemand sonst nannte ihn so, nur Joe und Annie und ich. Würde Paige ihn jetzt auch so nennen?
Während die Kinder Eier im Hühnerstall sammelten und meine Mutter schlief, saß ich auf der hinteren Veranda und trank noch mehr Kaffee. Meine Gedanken schwirrten von Annie und Zach zu Paige und von Joe zu unserem Bankkonto. Ich sah zu den Bäumen, die immer eine beruhigende Wirkung auf mich hatten. Die Redwoods standen da wie unsere persönlichen Wächter; mit mächtigen, kerzengerade aus dem Boden ragenden Stämmen. Die Äste waren so dick, dass wir schon Wildtruthähne darauf hocken gesehen hatten. Groß wie Labradore saßen sie zusammengedrängt beieinander, kaum fähig, sich von einem Ast zum anderen zu bewegen, aber mit einem schrillen Gelächter, das uns jedes Mal erschreckte, als säße dort oben ein Haufen tratschender britischer Ladys. Wir konnten sie stundenlang beobachten.
Unsere Eichen hingegen glichen weisen, arthritischen Großeltern, von denen man gewöhnlich etwas Nützliches lernte, wenn man sich eine Weile mit einem Stuhl dazusetzte und lauschte. Die Obstbäume waren wie unsere geschätzten Tanten, im Frühling herausgeputzt und reichlich parfümiert, und im Sommer beschenkten sie uns mit Äpfeln, Birnen und Aprikosen, die sie eimerweise fallen ließen, mehr als wir je essen konnten, als wollten sie sagen:
Mangia! Mangia!
Als meine Mutter sich dann nach ihrem Nickerchen mit einem Kaffee zu mir setzte, fühlte ich mich dank der Gruppentherapiesitzung mit den Bäumen schon etwas besser. Verhungern würde ich ganz bestimmt nicht.
»Wow«, sagte sie. »Letzte Nacht bin ich sofort eingeschlafen und hab dich nicht einmal kommen hören.« Sie nippte an ihrem Kaffee. »Jelly Bean, meine Süße.« Sie beugte sich vor und strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Wir müssen reden. Ich fliege morgen zurück, und wir hatten noch keine Gelegenheit, über die Lebensversicherung und deine finanzielle Situation generell zu sprechen. Ich kann helfen, dir einen Überblick zu verschaffen, aber übermorgen werde ich wieder bei der Arbeit gebraucht.«
Ich verschwieg ihr, dass ich gar nicht geschlafen hatte und kaum in der Verfassung war, über das zu reden, was
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