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Die andere Seite des Glücks

Die andere Seite des Glücks

Titel: Die andere Seite des Glücks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seré Prince Halverson
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wilde Hunde um ein Steak, und meiner Mutter, die für ihr jugendliches Aussehen immer Komplimente bekam, sah man jedes ihrer zweiundsechzig Jahre an, wenn nicht noch mehr. Die Klimaanlage war defekt, und man hatte das Gefühl, als puste uns jemand mit hohem Fieber durch die Lüftungsklappen an. Als ich dann im Rückspiegel beobachtete, wie Annie Zach seinen Bubby wegreißen wollte, schrie meine Mutter plötzlich: »Ella! Stopp!« Ich stieg voll in die Bremsen und verhinderte im letzten Moment, dass wir in den gelben Hummer krachten. Wer das überlebt hätte, war klar. Jedenfalls nicht wir.
    Ganz ruhig sagte ich zu meiner Mutter: »Um ein Haar hätten wir einen Unfall gehabt. Unfälle passieren zufällig und ohne Vorwarnung. Joe ist bei einem Unfall ertrunken, und jetzt hätten wir bei einem Unfall umkommen können. Einfach so.«
    »Jelly? Ist alles okay mit dir?«
    Ich zitterte von Kopf bis Fuß, und die Kinder stritten unbeirrt weiter. Ich umklammerte das Lenkrad mit beiden Händen und schrie: »Gottverdammt! Ich kann so nicht fahren! Ihr zwei haltet jetzt den Mund! Haltet endlich den Mund!«
    Das taten sie dann auch. Auf der ganzen Fahrt nach Hause sagte keiner von uns mehr ein Wort, nur die Stimme in meinem Kopf wiederholte immer und immer wieder:
Du, meine Liebe, bist die schlechteste Mutter auf der ganzen Welt.

    Als ich in die Einfahrt bog, kam Callie zur Begrüßung angerannt, doch die Kinder waren komplett k.o. Annies Wangen leuchteten rosa, obwohl ich sie mit Sonnenschutz eingecremt hatte. Zachs Gesicht klebte am Kindersitz, er sabberte sein T-Shirt voll, das jetzt lauter rote und violette Flecken hatte, genau wie seine Lippen und das Kinn. Die Slushee-Spuren sahen wie Blutergüsse aus, doch der Schaden, den mein Wutanfall angerichtet hatte, schien mir viel größer. Mir war, als könnte ich ihre Flügel sehen, so engelsgleich waren sie im Schlaf. Niemals könnten sie einen Erwachsenen dazu bringen, sie lauthals anzubrüllen. Als ich Zach vorsichtig aus seinem Sitz holte, baumelten seine Arme und Beine locker und schwer an ihm herab, und sein Kopf rollte herum, bis er dann an meiner Schulter liegen blieb. Er stieß einen langen Seufzer aus. Dies waren meine Engel, die gerade ihren Vater verloren hatten. Deren leibliche Mutter es plötzlich in Ordnung fand, aus der Ferne in unser Leben einzudringen, nur um sie daran zu erinnern, dass sie sie verlassen hatte. Und jetzt hatte ihre böse Stiefmutter sie angeschrien, weil sie sich wie Kinder benommen hatten.
    Wir brachten sie ins Bett und gingen auf Zehenspitzen in die Küche. »Es tut mir leid«, sagte ich meiner Mutter.
    »Was denn?«
    »Na ja, dass ich im Auto ausgeflippt bin.«
    »Ach, Bella, das ist doch verständlich. Sie waren völlig überdreht, und du bist erschöpft. Sei nicht so streng mit dir.«
    »Aber es war klar, dass sie in dieser Phase verrücktspielen würden.«
    »Das heißt trotzdem nicht, dass sie im Auto rumschreien und sich streiten können. Es war eine angespannte Situation. Du hattest keine Zeit, sie daran zu erinnern, ›eine angemessene Lautstärke und freundliche Worte‹ zu benutzen.«
    »Ich hab ja nicht einmal selbst daran gedacht, freundliche Worte zu benutzen. Ich kann mich nicht erinnern, dass du mich jemals so angeschrien hast.«
    »Wirklich nicht?« Sie zog die Augenbrauen zusammen. »Sicher? Na ja, nach dem Tod deines Vaters warst du extrem schweigsam. Davor hast du geredet wie ein Wasserfall. Du hast überall deine Nase reingesteckt und bist stundenlang mit deinem kleinen Notizbuch verschwunden. Kinder fangen ja mit drei an,
warum, warum, warum
zu fragen, aber du hast das auch später noch gemacht, als du schon acht warst.« Sie schüttelte den Kopf. »Du warst ein echtes Temperamentbündel und ziemlich anstrengend. Aber dann bist du ganz still geworden, und von deinem übermütigen Wesen war nichts mehr zu spüren.«
    Meine Mutter verstummte, streifte ihr Armband mehrmals über die Hand und zurück.
    Wir glichen einem Eislaufpaar, das gerade einen neuen Sprung übte, eine neue Drehung, doch jetzt musste eine von uns wieder zu den vertrauten Figuren zurückwechseln, wobei wir gegenseitig davon abhingen, dass die andere Hindernisse oder aufgetaute Stellen vermied.
    »Du schaffst das.« Sie lächelte. »Ich war auch einmal in deiner Situation. Und du warst da, wo die Kinder jetzt sind. Und wir haben es geschafft.«
    Jetzt klang sie, als wäre es einfach gewesen. Ich blickte aus dem Fenster, wo ein Eichhörnchen auf dem

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