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Die andere Seite des Glücks

Die andere Seite des Glücks

Titel: Die andere Seite des Glücks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seré Prince Halverson
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kollektiven Marsch zum Strand-Barbecue anführe, als wäre es die Band einer Eliteuniversität, wie ich den Taktstock vor Glück hoch in die Baumkronen werfe und er gehorsam wieder in meiner Hand landet.
    Keiner von uns hätte sich da träumen lassen, dass der fidele Mann, der laut sang und den Hut auf sein Herz hielt, während er vor dem Laden seines Großvaters Sergio stand, schon bald jener Vergangenheit angehören würde, die wir feierten. Oder dass der Laden, auf dessen Veranda er tanzte, zum Sinnbild seines heimlichen Versagens werden sollte.
    Ich mischte mich hinten unter die Leute, schwitzte in meinem langen, schweren Kleid, nickte und lächelte, wenn jemand Anstalten machte, mich zu umarmen, oder meinen Arm drückte; zu sagen gab es schon lange nichts mehr. Ich stand die Schweigeminute in Erinnerung an Joe durch, auch »Yankee Doodle«, doch als David »This Land Is Your Land« anstimmte und wir zu dem Satz »From the redwood forest to the river’s waters« kamen – den Joe so verändert hatte, dass er auf Elbow passte –, liefen mir die Tränen über die Wangen. Lucy reichte mir ein Taschentuch. Doch die Tränen waren nicht nur Ausdruck meiner Traurigkeit. Joe war tot, doch sein Land war mein Land, seine Stadt war meine Stadt, seine Kinder waren meine Kinder. Denn mit Joe hatte ich auch eine Heimat gefunden, und meine Heimat war es immer noch.

    »Ich habe Angst«, erzählte ich Lucy später, als wir auf einem Felsen saßen und Annie und Zach zusahen, wie sie eine Sandburg bauten, die eher einem Schutzbunker glich. Die Leute zogen langsam flussaufwärts, wo es bald ein Feuerwerk geben würde. Gegenüber auf der anderen Seite des Flusses ertönten laute Schreie aus dem Fischadlernest auf einem abgestorbenen Baum, das Joe noch vor weniger als einem Monat fotografiert hatte. »Auf einmal ist mir ständig bewusst, wie viel ich verlieren kann.«
    Sie legte den Arm um mich. »Die meisten Menschen in deiner Situation sehen nur, was sie alles verloren haben.«
    »Ja. Aber nicht alle haben die beiden.« Ich deutete mit dem Kinn zu den Kindern. »Früher habe ich nie so gedacht. Doch jetzt fühlt sich alles so wahnsinnig zerbrechlich an.«
    »Na ja, du hattest immer ein bisschen den Kopf in den Wolken«, sagte Lucy. »Ich meine, kein Leben ist derart sorglos.«
    »Wie meinst du das?«
    Lucy errötete. »Ich wollte nicht … ach, du weißt schon. Nichts. Zu viel Wein und Sonne, und ich plappere Nonsens.«
    Doch das hatte gesessen. Ich den Kopf in den Wolken? Aber ich wollte nicht nachhaken. Vielleicht hatte Frank ihr vom Laden erzählt. Frank war manchmal ein Klatschmaul, mit oder ohne Wein und Sonne. In dem Moment sah ich, dass Callie und ein Border Collie am Strand entlang zum Wasser liefen, wo Annie und Zach gerade Flusswasser in ihre Plastikeimer füllten. »Nein!«, rief ich laut, doch es war zu spät. Die beiden Hunde landeten mitten in der Sandburg der Kinder und zerstörten sie.

    Wenn Elbow noch immer meine Stadt war, dann war Capozzi’s Market jetzt mein Laden, und die Rechnungen waren meine Rechnungen. Julie Langer, eine der Mütter aus dem Kindergarten, hatte darauf bestanden, die Kinder an diesem Samstag zum Spielen abzuholen, so dass ich Zeit hatte, mir während der Gartenarbeit Sorgen über die Finanzen zu machen.
    Wäre doch nur der Garten ein wahres Abbild meines Innenlebens! All die reiche, fruchtbare Fülle in geraden, geordneten Reihen! Keine Platzverschwendung, keine vertrockneten Stiele. Und der lebensbejahende Duft von sauberem Dreck. Ich liebte das Paradox und den Wahrheitsgehalt dieser beiden Worte:
Sauber. Dreck
.
    Ich legte die Hacke beiseite, nahm den Komposteimer und ging zu den Kompostmieten. Das Geheimnis unseres Gartens war der Kompost. Und das Geheimnis unseres Komposts war, ihn nicht zu feucht werden zu lassen, regelmäßig zu bewegen und für genügend Stickstoff zu sorgen. Dieser Haufen hier machte sich außerordentlich gut und konnte bald über die Beete verteilt werden. Ich stocherte in Kaffeesatz, Eierschalen, dem Rest des Küchenabfalls und dem Wunder wirkenden Hühnermist herum und mischte trockene Blätter unter, die ich im Herbst aufgehoben hatte. Die Joe zusammengerecht hatte.
    Der Laden, der Laden. Was sollte ich damit machen? Ich wollte ihn nicht einfach so sterben lassen. Am 4 . Juli war mir klargeworden, dass er nicht nur Teil des Familienerbes war, sondern auch das Herz unserer Stadt. Wenngleich ein Herz mit lebensgefährlich verstopften Arterien. Die kleine Stadt

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