Die andere Seite des Glücks
Antidepressivum zu nehmen, um Ihnen über diese holprige Phase hinwegzuhelfen.«
Diese
holprige Phase
? Doch das sanfte Mitgefühl in seinen Augen sagte mir, dass er meine Situation nicht bagatellisieren wollte. »Wenn ich Sie richtig verstehe, ist die gute Nachricht also, dass ich nicht an einem Herzinfarkt sterben werde, und die schlechte, dass ich nicht an einem Herzinfarkt sterben werde?« Der Ausdruck in seinem Gesicht ließ mich hinzufügen: »Das war ein Scherz.«
»Hier in der Klinik nehmen wir suizidale Andeutungen sehr ernst, besonders bei Leuten, die wie Sie einen großen Verlust erlitten haben. Ich verstehe Ihre Gefühle, aber Sie müssen an Ihre Kinder denken. Sie haben noch ein langes Leben – und wunderbare Zeiten – vor sich.«
Ich nickte. »Das weiß ich. Wirklich. Ich würde niemals meine Kinder im Stich lassen.« Ich erzählte ihm nicht, dass jemand versuchte, sie mir wegzunehmen. Dass die Trauer nur ein Teil meiner Gefühle war und ich entsetzliche Angst hatte, Annie und Zach zu verlieren. Er fragte mich, ob ich müde sei, und ich fragte ihn, ob man an Schlafmangel sterben könne.
Er verschrieb mir etwas Beruhigendes gegen die Schlafstörungen und Angstzustände. Antidepressiva wollte ich dagegen noch keine nehmen, da es mir nur richtig und natürlich erschien, durch meine Trauer durchzugehen. Ich war nicht depressiv, nur müde und traurig.
Lucy fuhr mich nach Hause, wo Marcella den Kindern das Abendessen zubereitet hatte und sie schon in ihren Schlafanzügen steckten. Im Haus roch es nach Auberginenauflauf – Joes Lieblingsgericht – und SpongeBob-Schaumbad. »Tut mir leid«, sagte ich zu Marcella, doch sie winkte ab.
»Keine Sorge, wir hatten Spaß. Wie geht es dir? Alles okay?«
Ich drückte ihre Hand und nickte, doch ich fühlte mich alles andere als okay. Ich hatte den halben Tag im Krankenhaus verbracht, nur um herauszufinden, dass ich ein nervöses Wrack war. Durch den Wind. Ein bisschen wie Paige.
Annie kam aus ihrem Zimmer angelaufen. »Mommy! Mommy!«, sang sie. So glücklich hatte ich sie seit Joes Tod nicht mehr gesehen. Ich nahm sie auf den Arm. Ihre Freude, mich zu sehen, war Balsam für meine Seele. »Kann ich es ihr jetzt sagen? Darf ich?«, fragte sie Marcella. Marcella zuckte die Schultern, wandte sich ab und band ihre Schürze auf. »Mommy? Rate mal, was passiert ist.«
»Du hast dein Zimmer aufgeräumt?«
»Nein, du Dummi.« Sie wuschelte mir durch die Haare, was sie in letzter Zeit öfter tat. Der Mutter-Kind-Rollentausch kam für mich allerdings etwas zu schnell. »Mama hat uns nach Lost Vegas eingeladen! Zachosaurus und ich sollen sie nächstes Wochenende besuchen!«
16. Kapitel
Am nächsten Morgen war ich vor der Öffnungszeit im Laden, bereitete Risottobuletten und Puttanescasoße zu und rief Gwen Alterman an, um zu fragen, wie ich mit Paiges Einladung umgehen sollte. »Und ich ertrage es nicht, wie sie Annie manipuliert. Das muss aufhören.«
Gwen stimmte mir zu. »Es ist äußerst unfair, wenn sie die Kinder hinter Ihrem Rücken einlädt. Ich werde noch heute ihrem Anwalt schreiben, dass das aufhören muss. Was die Einladung selbst betrifft – Sie können ablehnen, aber dann wird die Gegenseite versuchen, das Umgangsrecht zwangsweise durchzusetzen. Wir werden auf jeden Fall ein psychologisches Gutachten fordern, das bestätigt, dass Paige nicht verrückt ist und nicht vorhat, die Kinder zu stehlen. Aber Sie wollen auch nicht wie jemand aussehen, der einer Beziehung der Kinder zu ihrer leiblichen Mutter grundsätzlich feindlich gegenübersteht.« Sie hielt inne, und ich stellte mir vor, wie sie bei einem Multiple-Choice-Test die Antworten abwog, während ich die Flamme unter der Soße runterdrehte. »Sie wollen nicht als eifersüchtige, vereinnahmende Frau erscheinen. Sie sind liebevoll, Sie sind gegenüber einer gewissen Besuchsregelung offen. Aber für die Kinder ist es das Beste, mit Ihnen zusammenzuleben. Punkt.«
Ich hörte zu und vergaß nicht zu atmen. Ich klemmte das Telefon zwischen Ohr und Schulter, stellte die Kupferpfanne für die Risottobuletten auf den Herd, füllte ein Glas mit Wasser und öffnete die Tablettenschachtel, die ich in meiner Tasche unter der Theke aufbewahrte. Joe hatte mich immer wegen meiner Abneigung gegen Medikamente aller Art – sogar Aspirin – aufgezogen. Doch nach meinem Nachmittag in der Notaufnahme brauchte ich ein Beruhigungsmittel. Und noch während ich eine Tablette schluckte, wurde mir klar, dass selbst, wenn
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