Die andere Seite des Glücks
Anweisungen, worauf zu achten war, zum Beispiel Annies Allergie gegen ein bestimmtes Antibiotikum und dass Zach sehr an seinem Bubby hing. Sie roch nicht nach Joes Aftershave, nur nach ihrem eigenen Jasmin-Zitrus-Parfüm, offensichtlich ihre persönliche Duftnote, die nun schon wieder unser Haus erfüllte. Paige nahm die Versicherungskarten, gab mir aber Dr. Magenellis Telefonnummer sowie die Instruktionen zurück. »Danke. Aber Doktor Magic und seine Nummer sind mir bekannt. Und ich weiß auch von Annies Allergie. Was die weiteren Hinweise betrifft, Annie ist so ein kluges Mädchen, sie kann mir bestimmt helfen, wenn es irgendwelche Fragen gibt. Trotzdem danke, wirklich sehr aufmerksam von Ihnen.« Sie schob die Versicherungskarten in ihr elegantes Lederportemonnaie, klappte es zu und steckte es zurück in ihre Umhängetasche. Sie trug weiße Hosen und ein pfirsichfarbenes, seidiges Shirt, das ihre Haut perfekt zur Geltung brachte. Als Teenager hatte sie sich bestimmt nie von Kopf bis Fuß mit Babyöl eingeschmiert und auf einer folienbeschichteten Matte von der Sonne braten lassen. Sie sah ein bisschen anders aus als beim letzten Mal, hatte einen fransig geschnittenen Pony, der ihre Augen noch größer erscheinen ließ.
»Ich hole Ihnen die Kindersitze«, sagte ich.
»Nicht nötig, der Mietwagen hat schon welche. Wir wohnen im Hilton in Santa Rosa.« Sie wandte sich den Kindern zu. »Habt ihr zwei schon eure Koffer gepackt?« Annie und Zach nickten.
»Mit vielen Kleidern«, fügte Annie hinzu.
»Ausgezeichnet.« Paige sah auf ihre Uhr.
»Das ist ein langer Tag für Sie …«, sagte ich.
»Oh, das macht mir nichts aus. Ich bin so glücklich, dass ich Annie und Zach sehen kann. Okay, Kinder, verabschiedet euch von Ella.«
Ella? Netter Versuch. Und meine Kinder aufzufordern, sich von mir zu verabschieden, war auch nicht nötig.
Zach sagte: »Ich will hierbleiben.«
Ich beugte mich zu ihm hinunter und strich ihm die Haare aus der Stirn. »Du kannst mich jederzeit anrufen. Und Annie ist bei dir. Und Bubby. Und morgen bist du schon wieder zurück.« Er fing an, mit Bubby auf den Boden zu schlagen. »Okay, mein Schatz?«
Er sah Paige an und nickte langsam. Annie nahm seine freie Hand, und zu dritt folgten wir Paige die Verandatreppe hinunter. Ich ging in die Hocke und umarmte sie beide, vielleicht etwas zu lang, zwang meine Tränen zu warten.
»Tschüs, Mommy!«, riefen beide aus dem Wagen und winkten, als sie wegfuhren. Ich sah ihnen so lange hinterher, bis sie hinter der Kurve verschwanden, dann sah ich dem Schotterstaub zu, wie er sich langsam in der Morgenluft verflüchtigte.
Ich schlüpfte in Joes Jacke und ging mit Callie, die im Zickzack vor mir herlief, zum Hühnerstall. Wir hatten vier Hennen, Bernice, Gilda, Harriet und Mildred. Als ich unter sie griff, hatten mir alle außer Mildred ein Ei hinterlassen. In letzter Zeit legte sie nicht mehr so viele, und ich fragte mich, ob sie vielleicht auch trauerte. Ich schob die drei warmen Eier vorsichtig in die Tasche von Joes Jacke und folgte Callie zurück ins Haus.
Ich hatte mir schon einen Plan überlegt, wie ich mich am besten beschäftigen konnte, und wollte die Papiere zusammensuchen, die Paige verlangte. »Sie müssen dem Gericht glaubhaft versichern«, hatte Gwen gesagt, »dass Sie trotz intensiver Suche die Briefe nicht gefunden haben.« Ich wollte die Kisten und Akten in Joes Büro durchforsten, um das endgültig abhaken zu können.
Ich saß in seinem alten Büro über dem neuen Laden und sah die Akten durch, blätterte in Geschäftsbüchern und sogar in Steuerunterlagen, die ich einmal blindlings unterzeichnet hatte, ohne sie mir auch nur anzusehen. Jetzt sprangen mich die Warnsignale des finanziellen Untergangs aus Unterlagen an, die ich nie eines Blickes gewürdigt hatte. Wie eine Hausfrau in den fünfziger Jahren hatte ich mich aus allem Finanziellen herausgehalten und mich um die Kinderaufzucht gekümmert. Es war keine bewusste Entscheidung gewesen, sondern mir ganz natürlich vorgekommen. Und es schien zu funktionieren. Doch jetzt erkannte ich, dass dem nie so war. Joe hatte mir nicht die Wahrheit gesagt, aber ich hatte sie auch nicht unbedingt hören wollen.
Die Tür hinter dem Aktenschrank führte zu einem Abstellraum. Der Schrank war zu schwer, um ihn allein zu verrücken, doch ich wollte David nicht um Hilfe bitten und leerte die Schubladen aus, dann schob ich ihn Stück für Stück von der Tür weg, bis ich sie aufbekam. Am
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