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Die andere Seite des Glücks

Die andere Seite des Glücks

Titel: Die andere Seite des Glücks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seré Prince Halverson
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Bett und versuchte, zu viele Haushaltsrechnungen mit zu wenig Geld auf dem Konto zu bezahlen. Doch hauptsächlich wartete ich auf einen Anruf von Annie und Zach. Callie lag am Fußende der Matratze, schnarchend und mit den Beinen zuckend, wenn sie im Traum gerade Erdhörnchen ausgrub. Ich mühte mich vergebens, alle Gedanken in meinem Kopf in eine Art logische Abfolge zu bringen, zog schließlich die Nachttischschublade auf und wühlte so lange darin herum, bis ich den Notizblock und den Stift gefunden hatte. In meiner Handschrift stand da
Hühnerfutter
und
Rhabarbersaat
.
    Ja, es stimmte, ich war unbekümmert gewesen. Mein Leben war mir so einfach erschienen, wie das alberne Kinderlied, das man beim Autofahren trällerte:
»Oh, I’ve got chicken feed, and rhubarb seeds, and a smile that’s a mile long. I’ve got a boy and a girl and a husband that’s a pearl, and a smile that’s a mile long.«
    Joe hatte sich um die Lebensmittel gekümmert und immer alles mitgebracht, was wir brauchten. Das Postamt war direkt neben dem Laden, also holte er auch immer die Post. Und wenn es im Laden ruhig war, machte er die Buchführung. Anscheinend gab es eine Menge Zeit dafür.
    Ich war in sein Leben getreten, ohne viel von mir selbst einzubringen. Wie eine wandelnde Gruft hatte ich mich damals gefühlt, ausgehöhlt und kurz davor zusammenzusacken; kein Leben hatte mehr in mir gesteckt. In dem Zustand war ich Joe und den Kindern begegnet, einer bestehenden Familie mit einem muttergroßen Loch, in das ich schlüpfen konnte. Ich hatte das nie in Frage gestellt, warum auch, wo es doch so offensichtlich Schicksal war?
    Joe und ich hatten uns an einem Tag kennengelernt und am nächsten gemeinsam Kinder aufgezogen. Wir hatten nie solche Phasen wie unsere Freunde durchlebt – lange, tiefe Seufzer und Augenrollen, das »Okay, ich mach’s schon«. Ich war bereitwillig als Erste gesprungen, wenn es um die Kinder ging, was Joe, der sich monatelang allein gekümmert hatte, gewöhnlich gern zuließ.
    Wir waren drei Jahre lang zusammen gewesen. Doch wie gut hatten wir uns wirklich gekannt? Vielleicht doch nicht so gut, wie ich dachte. Henry und ich waren sieben Jahre verheiratet gewesen, doch trotz allem, was wir miteinander durchgemacht hatten, war der Henry, den ich kannte, nicht anders, als der, den alle kannten. Unsere Gespräche hätte er – je nach Thema – jederzeit genausogut mit seinen Arbeitskollegen, Baseballkumpeln oder mit seiner Mutter führen können. Es ging nie ausschließlich um uns, erst dann, als wir versuchten, ein Kind zu bekommen. Aber als wir uns entschieden hatten, es nicht länger zu versuchen, und ich über Adoption reden wollte, wechselte Henry das Thema. Dann gab es nur noch kurze Gespräche über Laborratten, die San Diego Padres, den Leistenbruch seines Vaters.
    Joe und ich hatten viel und gern geredet. Unsere Unterhaltungen führten von etwas Unglaublichem, das eines der Kinder getan hatte, zu den herrlichen Auberginen oder zu einem Gedicht über einen Blaureiher, das er in einer Zeitschrift gelesen hatte. Für mich war er einer der interessantesten Menschen, die ich je getroffen hatte. Er war witzig, erfindungsreich, intuitiv und künstlerisch veranlagt. Nach Sergios Tod hatte Joe das College abgebrochen, um seinem Vater zu helfen, hatte es als seine Pflicht empfunden, dem Wunsch seines Großvaters nachzukommen, nach allem, was dieser durchgemacht hatte. Joe hatte den Traum, Fotojournalist zu werden, aufgegeben und das Fotografieren zu seinem Hobby gemacht. Dabei wollte er immer nur das Beste ablichten, was die Welt zu bieten hatte, suchte stets die schmeichelhafteste Perspektive, das schönste Licht. Das hatte ich an ihm geliebt. Doch jetzt machte ich mir Gedanken über die Dinge, die er nicht hatte ansehen wollen, und dachte daran, wie mühelos sein gefilterter Blick und meine Einstellung sich ergänzten.
    Ich nahm Paiges Visitenkarte in die Hand. Callie streckte sich, hob den Kopf und ließ ihn wieder auf die Matratze plumpsen, schnarchte weiter. Ich räusperte mich, übte:
    »Hallo? Paige? Hier ist Ella?«
    Zu viele Fragezeichen. Zu unsicher.
    »Hallo, Paige. Hier ist Ella. Ich möchte gern mit Annie sprechen.«
    Nein. Zu fordernd. Ich musste locker klingen, als hätte ich nichts in der Welt zu befürchten.
    »Hi, Paige. (Da ist doch Paige, oder?) Hi, hier ist Ella. Ist Annie da?«
    Ich wählte die Nummer und legte zweimal auf, bevor ich es schließlich klingeln ließ.
    »Hallo, das ist die Voicemail

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