Die andere Seite des Glücks
schien zu dem anderen zu passen, von dem niemand sonst wusste – dass ich ihn so erschreckt hatte, dass er anfing zu schreien. Ich wusste, dass mein eigenes Herz wegen der Ohrfeige von meiner Großmutter raste. Vielleicht würde es ja auch bald stehenbleiben. Ich betete, dass das nicht passierte und mein Daddy mich nicht aus seinem mit Satin ausgelegten Sarg in der Erde böse ansah.
Aber das war noch nicht alles. Großmutter Beene war noch nicht fertig gewesen mit ihrer Lektion, doch hier und jetzt musste ich über andere Dinge nachdenken als die alten traurigen Geschichten, zum Beispiel was ich mit den Briefen tun sollte.
25. Kapitel
Als ich früh am nächsten Morgen gerade die Krümel unterm Ladentisch wegkehrte, kam Frank herein und schenkte sich einen Kaffee ein. »Diese alte Crystal-Meth-Tante auf der anderen Seite der Brücke ist komplett gaga von all den Drogen, was ja weiter nichts Neues ist. Nur dass sie jetzt plötzlich die hübsche Idee hatte, mit dem Kajak auf dem Fluss rumzupaddeln, was auch weiter kein Problem wäre, wenn sie wieder nach Hause gefunden hätte. Doch da dem nicht so war, ruft also ihr Junkie-Freund bei uns an, und wir müssen sie suchen, mit allem Drum und Dran, Rettungswagen, Suchtrupps, Helikopter und so weiter, die ganze Palette, weil die alte Dame nämlich so stoned war, dass sie nicht gemerkt hat, dass sie im Kreis paddelt.« Er hob den Kaffeebecher, als wolle er mir zuprosten. »Und das, meine Damen und Herren, wird alles von Ihren Steuerdollars bezahlt.«
»Ich frage mich, was ihr passiert ist.«
»Absolut nichts. Genau darum geht es ja, El. Wir haben sie kurz nach Mitternacht ein Stück hinter Edwards Mühle gefunden, wo sie komplett zugedröhnt im Mondlicht badete.« Kopfschüttelnd trank er einen Schluck.
Ich hatte es anders gemeint, nämlich was ihr wohl vor langer Zeit passiert war. Doch ich hatte weder Lust, es Frank zu erklären, noch ihn wissen zu lassen, dass ich kürzlich zu dem Schluss gekommen war, dass es für alles einen Grund gab, ob es der Person bewusst war oder nicht. Dass sogar Paige Gründe gehabt hatte, die ich herauszufinden gedachte.
»Mehr Kaffee?«
Er nickte. »Ich schenke mir selber ein, zum Mitnehmen. Muss wieder los und ein paar zugedröhnte Süchtige retten, Staatsdiener, der ich bin.«
»Frank?«
»Ja?«
Ich wollte ihm nichts von den Briefen erzählen, denn als Beamter war er womöglich verpflichtet, meinen Fund zu melden.
»Glaubst du, Lizzie würde mal mit mir reden? Über Paige?«
»Lizzie redet ja nicht mal mit mir über Paige.« Er starrte mich an, wartend, als wolle er sagen:
Und warum kannst du nicht mit mir reden?
Frank vermisste Joe auch, das sah ich jedes Mal in seinen Augen, die sein forsches Auftreten Lügen straften. Er zuckte die Schultern. »Aber warum nicht? Was hast du zu verlieren?«
Noch bevor ich das weiße Gartentor öffnete, wusste ich, dass Lizzie zu Hause war. Ein Hauch von Minze, Rosmarin, Lavendel, Zitrone und Kokosnussbutter hing an diesem klaren, blauen Tag in der Luft. Jeden Morgen, wenn Molly in der Vorschule war, arbeitete sie in der umgebauten Scheune hinter ihrem Haus. Früher wäre ich nervös gewesen, einfach durch die Klöntür zu treten, um Lizzie in der Scheune aufzusuchen. Doch ich war ziemlich sicher, dass nichts, was sie sagen konnte, die Dinge für mich noch verschlimmern würde. Ich wollte nur die Wahrheit herausfinden, um entscheiden zu können, was ich mit den Briefen machen sollte. Ich stand fast eine volle Minute im Eingang, bevor sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnten und ich Lizzie, die langen Tische mit Töpfen sowie Wandregale voller Vorräte erkennen konnte.
Sie hatte ihre blonden, lockigen Haare mit Haarklemmen festgesteckt, damit sie ihr nicht in die Stirn fielen, und goss summend Olivenöl in einen der fünf riesigen Kochtöpfe. Zwei Mexikanerinnen wogen Becher mit Palm- und Kokosöl ab. Lizzie sah auf. »Oh! Frank ist nicht hier.«
»Ich würde gern mit dir sprechen. Wenn du eine Minute Zeit hättest? Na ja, etwas mehr als eine Minute.«
»Aha. Nun, okay … ich muss nur … Ich kann im Moment schlecht weg, können wir hier reden?«
Ich sah zu den beiden Frauen, die uns beobachteten.
»Ihr englischer Wortschatz ist sehr begrenzt und kreist hauptsächlich um Seife. Wenn du also über etwas anderes sprechen möchtest, ist die Vertraulichkeit so gut wie garantiert.« Ich sprach die beiden Mexikanerinnen auf Spanisch an, und sie lächelten und nickten, als Lizzie uns
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