Die andere Seite des Glücks
vorstellte. »Aber mir fällt gerade ein«, sagte sie an mich gewandt, »dass ich bei den Töpfen draußen Lauge zugeben muss, während das hier schmilzt. Komm mit.«
Wir gingen hinaus zu einem Tisch, auf dem der Inhalt von drei weiteren Töpfen abkühlte. »Tritt ein Stück zurück«, erklärte sie. »Lauge ist ein übles Zeug, das willst du nicht einatmen.« Mit abgewandtem Gesicht goss sie die Flüssigkeit in einen Messbecher und bat mich, noch weiter wegzugehen. »Die Temperatur wird gleich hochschießen, und dann muss sie wieder auf vierzig Grad sinken.« Sie zeigte auf einen weiteren Tisch. »Die dort müssten jetzt so weit sein, dass man sie rühren kann. Nimm dir einen Stuhl und einen Löffel. Wir müssen die Kleinen so lange in Bewegung halten, bis sie dickflüssig sind, so wie Fondue.« Sie hatte jetzt die gleiche Stimme wie beim Elbower Weihnachtsbazar, wenn sie ihre Arbeit vorführte, freundlich, effektiv – eine Frau, die alles im Griff hatte.
Wir setzten uns, nahmen je einen Löffel und fingen an zu rühren. Ich sagte: »Lizzie, ich habe nicht vergessen, dass du und Paige Freundinnen seid …«
Sie sah mich eine ganze Weile an, bevor sie sagte: »Seid ist vielleicht zu viel gesagt, aber waren stimmt auch wieder nicht. Wir haben keinen Kontakt mehr, aber ich betrachte sie noch immer als meine Freundin. Und sie fehlt mir. Ich vermisse die alte Paige, die neue kenne ich im Prinzip nicht.«
»In Joes Familie lässt keiner ein gutes Haar an ihr, weder an der alten noch an der neuen …«
Lizzie lenkte den Blick auf meinen Topf. »Rühr bitte weiter, du musst spüren, wie es langsam dickflüssig wird.«
»Aber ich habe das Gefühl … dass das nicht die ganze Geschichte ist.«
»Hör mal, Ella, wenn du hier versuchst, schmutzige Geschichten über Paige auszugraben, um Argumente für deinen Sorgerechtsstreit zu sammeln, kannst du deine Schaufel nehmen und woanders graben.«
Es fehlte nicht mehr viel, und sie würde mich wegschicken. »Ich weiß, dass es so aussieht. Aber ich will etwas anderes – ich bin an einem Punkt, wo ich Paige verstehen möchte. Und auch Joe. Ich fange an zu glauben … dass Joe … dass er vielleicht nicht fair zu ihr war.«
Lizzies Kopf schnellte hoch. Ihr Gesicht lief rot an, sie riss Mund und Augen weit auf und schlug mit der Faust auf den Tisch. Es war, als hätte man eine Sektflasche geschüttelt und der Korken wäre rausgeschossen. »Ach nee! Erzähl das doch bitte mal meinem Mann! Oder sonst jemandem in der Stadt!«
»Ich lebe in dieser Stadt. Ich will die Wahrheit wissen.«
»Jetzt willst du sie wissen …«
»Ja, jetzt.«
»Um sie dir zunutze zu machen …«
»Nein, glaub mir. Was das Sorgerecht betrifft, wäre es für mich nützlicher, keine Fragen zu stellen, nichts wissen zu wollen – so wie ich das immer gehalten habe. Ich gebe mir Mühe, es jetzt anders zu machen. Aber dabei könnte ich deine Hilfe gebrauchen.«
Lizzie starrte mich an, als versuche sie, meine Gedanken zu lesen. Ich rührte und rührte. Schließlich sagte sie: »Paige war perfekt, eine echte Traumfrau. Als sie dann anfing, psychische Probleme zu haben, kam keiner damit klar.« Sie streckte die Brust raus, rollte die Schultern vor und zurück, schürzte die Lippen. »So etwas war in der Familie Capozzi nicht erlaubt.«
»Wie war sie, bevor das passierte?«
»Paige war schon immer schön – aber mit Bodenhaftung. Ihr Haus war ordentlich, aber weit von dem entfernt, was sie jetzt aus Häusern macht, kein Fengshui oder sonst ein gequirlter Mist. Sie war immer zurückhaltend, sogar schüchtern, aber freundlich. Ich mochte sie sehr.«
Ich konzentrierte mich auf das Rühren von Achten. Es war nicht leicht, sich Gutes über Paige anzuhören.
»Ich muss ehrlich sagen«, fuhr Lizzie fort, »ich war geschockt, dass Joe so schnell eine neue Beziehung angefangen hatte.«
Mein Gesicht glühte. Ich rührte weiter.
»Joe und Paige waren von der ersten Minute an verrückt nach einander. Aber dann, gleich nach Annies Geburt, war Paige nicht mehr verrückt nach Joe, sondern einfach nur noch verrückt.«
»Wie meinst du das?«
»Sie rief nicht mehr zurück, wenn ich eine Nachricht hinterließ. Wenn ich dann bei ihr vorbeifuhr, hatte sie fettige Haare und lief den ganzen Tag im Morgenmantel rum.«
Im Paisley-Morgenmantel.
»Während der Schwangerschaft hatte sie sich auf das Kind gefreut, aber als Annie dann da war, hatte sie kein Interesse an ihr. Es war komisch. Sie bat mich häufiger, auf Annie
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