Die andere Seite des Glücks
unfreiwillig Tränen zu vergießen.«
Ich weine pausenlos. Aus Erleichterung. Und wegen meiner armen Mom, weil sie das alles nicht hätte erleiden müssen – weil ich das alles nicht hätte erleiden müssen. Und zum ersten Mal, Joe: HOFFNUNG .
Paige
»Paige hatte Hoffnung? Am 21 . Oktober hatte Paige immer noch Hoffnung?«, sagte ich. »Ich frage mich, was passiert wäre, wenn Joe die Briefe geöffnet hätte, ob jetzt alles anders wäre. Ob er sich mit mir hingesetzt und meine Hände genommen und gesagt hätte, dass Paige zurückkommt. Um mit Annie und Zach zusammen zu sein. Und mit ihm.«
»El, Joe hat dich geliebt. Du hast ihm neues Leben eingehaucht, als du hergekommen bist. Und Annie und Zach. Quäl dich nicht mit Was-wäre-wenns, das hilft niemandem.«
Wir lasen weiter.
15 . Dezember
Joe,
ich habe immer noch nichts von Dir gehört und schließlich Lizzie angerufen. Sie sagt, es gibt eine neue Frau. Stimmt das, Joe? So schnell?
Hier ist ein Foto von uns, das wir letztes Jahr zu Weihnachten verschickt haben. Tante Bernie hatte es an ihrem Kühlschrank hängen und mir mitgebracht. Ich habe mein Gesicht rausgeschnitten. (Die Krankenschwester war dabei. Wir dürfen Scheren nur unter Aufsicht benutzen. Wie bei Annie im Kindergarten.) Vielleicht kannst Du ihr Gesicht reinkleben. Ellas. Ella Bean?
Paige (Deine Frau)
»Autsch.«
Lucy sagte: »Also ich weiß wirklich nicht, was sie von ihm erwartet hat. Sie hat ihm doch selber gesagt, er soll aufhören dahinzuvegetieren und wieder anfangen zu leben. Und genau das hat er getan. Gott sei Dank! Jetzt mach den Nächsten auf. Oder gib ihn mir, ich öffne das verdammte Ding.«
8 . April
Joe,
endlich höre ich von Dir, und dann in Form eines Briefumschlags mit der Scheidungsurkunde drin. Und eine Nachricht mit den Worten: Ich weiß, dass es das ist, was du willst. Wie kommst Du darauf, überhaupt etwas zu wissen?
Ich weiß, ich habe Dokumente unterschrieben und Dir zukommen lassen, mit denen ich in die Scheidung eingewilligt habe. Ich weiß, dass ich Dir gesagt habe, Du sollst in die Zukunft blicken. Aber ich war verwirrt. Es tut mir leid, dass ich das gesagt habe. Ich habe das damals nicht gewollt, und jetzt erst recht nicht. Hast Du denn keinen meiner späteren Briefe gelesen?
Ich besitze im Moment nicht die Kraft zu kämpfen, ich konzentriere mich voll und ganz darauf, wieder gesund zu werden. Einer Auseinandersetzung vor Gericht bin ich noch nicht gewachsen. Aber eines Tages werde ich das sein.
Ich fasse es nicht, dass Du das getan hast. Zelwig sagt, der Grund sind mangelnde Informationen und Angst.
Es sind MEINE Kinder, nicht IHRE .
Paige
»Was für ein Irrtum, meine Liebe«, sagte Lucy.
»In gewisser Hinsicht …«
»Ella!«
»Aber was war Paige in ihrer Kindheit zugestoßen? Irgendetwas muss ihr furchtbar Angst gemacht haben. Etwas, das ihre Mutter getan hat … Und offensichtlich hat sie Annie und Zach wirklich geliebt. Sie ist ja nicht mit irgendeinem Hells-Angel-Typ weggelaufen, um sich selbst zu finden.« Ich riss den nächsten Briefumschlag auf. Inzwischen war es mir egal, ob ich mir an Beweismitteln zu schaffen machte.
1 . Mai
Joe,
heute ist die richterliche Verfügung eingetroffen. Du hast das Sorgerecht nur bekommen, weil ich nicht darum gekämpft habe. Genieße die Zeit, denn sie wird irgendwann vorbei sein.
Vielleicht glaubst Du ja, dass ich niemals stark genug sein werde, um zu kämpfen. Aber Du kennst mein neues Ich nicht. Das Ich, das meiner Mutter und mir selbst vergeben hat. Und das eines Tages vielleicht auch Dir vergeben wird.
Paige
Es folgten mehrere Briefe, in denen sie Joe eindringlich bat, gemeinsam eine Lösung zu finden. Sie schrieb über ihren neuen Beruf, dann drohte sie, die Kinder anzurufen, dass sie vor Gericht gehen würde. Und schließlich, Anfang dieses Jahres, dann das:
16 . Februar
Joe,
bislang habe ich gezögert, Annie und Zach ohne Deine Zustimmung zu sehen. Mein Anwalt will, dass ich einen Sorgerechtsstreit führe, aber ich hoffe immer noch, dass Du auf meine Anrufe reagierst oder meine Briefe beantwortest. Wenn schon nicht mir zuliebe, dann tu es für Annie und Zach.
Was hast Du ihnen über mich erzählt? Dass ich tot bin? Reagieren sie deshalb nicht auf meine Briefe?
Ihnen zuliebe habe ich darauf verzichtet, einfach bei Euch an die Tür zu klopfen oder sie anzurufen. Und die Versuchung ist groß, ich kämpfe jeden Tag dagegen an. Aber ich hatte mir Geduld verschrieben und wollte Dir
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