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Die Anfänge meiner Welt

Die Anfänge meiner Welt

Titel: Die Anfänge meiner Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lorna Sage
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höchstpersönlich in die Haare... Im Dorf
blüht der Klatsch, aber Grandpa setzt sich großartig über alles hinweg. Er und
MB treffen sich jetzt in der Kirche, im geheiligten Bezirk Gottes. Doch nicht
die emotionale Logik des Ehebruchs bestimmt das Geschehen, sondern die Arbeit
an der Aufführung. Das Theater geht vor — auf »ein langes, ernstes Gespräch mit
MB« folgt »eine gute Probe«. Er hat die letzte Dekoration für die Ballsaalszene
fertig (i. Februar) und hängt jetzt die ganze Sequenz der Bühnenbilder auf, um
die Kulissen dann an Ort und Stelle im Gemeindesaal zu malen. »Hatte tagsüber
Streit mit Hilda«, notiert er am 3. Februar. »Bin anschließend in den Saal und
habe weitergemalt. MB hat mir eine Tasse Tee gebracht.« Er gerät in Zeitnot,
denn bis zur ersten Nachmittagsvorstellung sind es nur noch vier Tage, aber die
Arbeit macht ihm Freude. Endlich kann er tun, wozu er sich berufen fühlt — der
fleißige Magier zaubert für die Menge.

    Allmählich wird er zu dem
Grandpa, den ich in Erinnerung habe — nur daß er erst noch erfahren muß, wie
schmerzlich es ist, wirklich ertappt zu werden. Die Aufführung war ein
Triumph. Im Abendanzug dirigierte er das Orchester, Sir Edward Hanmer lobte ihn
auf offener Bühne, desgleichen — nach der letzten Vorstellung — Lady Kenyon.
Noch kreidete ihm niemand seine Sünden an. Gemessen am größeren Zauber Aschenputtels, war MB offenbar nur ein Kavaliersdelikt. Es scheint sogar, als habe es für die
Leute irgendwie dazugehört. Er hatte eine Liebesaffäre mit der Gemeinde. Kein
Wunder, daß er sich plötzlich einsam und verlassen fühlte, als der Vorhang
fiel. Sein Leben war so kompliziert wie eh und je, er selbst aber empfand es
als banal. Die Zeit werde ihm lang, schrieb er — die gleichen Worte, die er gebraucht
hatte, bevor er MB kennenlernte. Er war ruhelos, konnte es kaum erwarten, sich
der nächsten Phase seines Schicksals zu stellen. Diesmal war meine Mutter eine
der handelnden Personen (im ersten Stück hatte sie keine Hauptrolle gespielt,
und er hatte sich auch nicht mehr viel um sie gekümmert), und diesmal nahm die
Sache ein böses Ende. Und er stellte die Weichen für die Zukunft.

Der zweite Sündenfall
     
     
     
     
    Die Ruhe in Hanmer machte
Grandpa nervös, wann immer er sein Tempo so weit drosselte, daß sie ihm ins
Bewußtsein drang. Dann hörte er die Zeit verstreichen. Die Depression lag auf
der Lauer, und die Aussicht auf ein interessanteres Leben, ein seinen
Fähigkeiten angemessenes Leben , löste sich auf wie eine Fata Morgana. Das
mag der Grund gewesen sein, weshalb ihn das Kulissenmalen so beglückte. Er
konnte die Illusion einer Perspektive erzeugen, ohne sich irgendwo hinstellen
zu müssen, um zu überprüfen, ob sie stimmte (meist breitete er den Stoff zum
Malen auf dem Boden einer Dachkammer aus), und dieser Trick war eine Variante
des moralischen Tricks, mit dem er sich ständig selbst überlisten mußte. Doch
mit dem moralischen oder, genauer gesagt, dem Stimmungstrick war es nicht so
einfach. Das Stück, das er in jenem ersten Winter in Hanmer auf die Bühne
brachte, verschaffte ihm eine Kostprobe zügelloser Freiheit, und dennoch
stürzte ihn gerade sein Erfolg in postkoitale Melancholie: »Es ist heute abend
sehr ruhig im Dorf nach all dem Trubel dieser Woche. Was für eine Woche!«
    Die Affäre mit MB hatte sich
ähnlich paradox und enttäuschend entwickelt. MB war inzwischen nicht nur
Gegenstand endlosen Hilda-Gezeters, sondern auch eine Art Zweitfrau, Teil des
Inventars seiner Frustration. So kam es ihm erschreckend gelegen, daß das Dorf
— oder zumindest dessen tonangebende Bewohner wie Lady Kenyon — geneigt schien,
MB die Schuld an dem Skandal zu geben. Wenn er sich ihrer entledigte, würde man
ihn ungeschoren lassen. Und er war (aus den falschen Gründen) bereit, das
Richtige zu tun. Kurzum, er benahm sich MB gegenüber wie ein ausgemachter
Schuft.
    Man munkelte, sie habe einen
neuen Liebhaber, und er hätte es nur zu gern geglaubt. »Vielleicht tut sich da
ein Ausweg auf - hoffentlich bald.« Aber nichts geschah, und nach einer
weiteren »furchtbaren Woche« voller Gezänk zog er an einem kalten Samstag abend
Mitte Februar voll Selbstmitleid Bilanz: »Ich hoffe zu Gott, daß jetzt endlich
Schluß ist. Hanmer hat mir viel Unglück gebracht. Habe meine Gedanken für morgen
geordnet, aber H. hört und hört nicht auf... Ich finde wirklich, man tut MB
bitter unrecht — sie hat doch nur gesagt, daß sie

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