Die Anfänge meiner Welt
Einige Tage später sieht er mögliche
»Komplikationen« mit MB voraus, noch aber ist er glücklich und gesteht sich ein,
daß es ihm gutgeht: »Ich muß das Leben nehmen, wie es ist, und aus allem das
Beste machen«, schreibt er, ganz wie ein frommer Stoiker angesichts der
Freuden, die der Herr gnädig auf ihn herabregnen läßt.
Er kehrt für kurze Zeit nach
Südwales zurück, wo Hilda und die Kinder in den Hereford Stores auf gepackten
Koffern sitzen. Während seines Aufenthalts wirft er hie und da einen
verstohlenen Blick auf seine verhaßte alte Pfarrei — »habe einen Spaziergang
über den Coronation Hill gemacht, von dem aus man die Kirche von Ynyscynon
sieht« — und reist dann allein wieder in den Norden. MB holt ihn in Wrexham ab.
Dann, am 13. September, TRIFFT DIE FAMILIE IN HANMER EIN, in Großbuchstaben.
Hilda hat ihre geliebte Schwester Katie mitgebracht, die ihr behilflich sein
und den Schock der Trennung vom Rhondda-Tal mildern soll, was aber nicht
verhindert, daß sie, kaum steigt ihr die Landluft in die Nase,
»kreuzunglücklich« ist. »Sie fühlt sich furchtbar elend heute abend«, vertraut
Grandpa dem Tagebuch an. Am nächsten Tag geht es ihr nicht besser
(»todunglücklich«), und am übernächsten schickt er sie und die Kinder zum
Einkaufen ins sechs Meilen entfernte Whitchurch, die nächstgelegene Stadt — mit
dem gleichen Ergebnis: »Hilda wieder elend.« Am Samstag zieht er Bilanz und
stellt fest, daß sein geheimes Wohlgefühl ein wenig nachläßt: »Fühle mich
wieder nicht besonders. Das liegt an der Belastung durch den Umzug und an
Hildas gedrückter Stimmung.« Er scheint der widersinnigen Ansicht zu sein, sie
müsse die Umwälzung in seinem Gefühlsleben begrüßen, seine Euphorie teilen.
»Ich muß die Last aller anderen tragen und meine eigene dazu.«
Grandma wußte natürlich noch
nichts von MB. Sobald er auf dem Fahrrad die Seitenwege der Gemeinde unsicher
machte, verschwand er von ihrer geistigen Landkarte. Und ohnehin war MB aus
Hildas Sicht nur eine aus einer ganzen Riege ortsansässiger Damen, die den
neuen Pfarrer während seiner ersten einsamen Wochen entzückt vereinnahmt
hatten. Allen voran die verwitwete Lady Kenyon, die (wie sich herausstellt) das
eigentliche Oberhaupt der Gemeinde war und die namengebenden Hanmers an Stand
wie Reichtum weit in den Schatten stellte. Das Tagebuch berichtet, daß er
häufig in ihrem Wagen herumchauffiert und regelmäßig zum Tee oder zu einem
Essen zu zweit nach Gredington, dem Herrensitz der Kenyons, eingeladen wurde.
Dann waren da noch Miss Crewe, die Rektorin der Dorfschule, und ihre Freundin
Miss Kitchin, die Inhaberin der Bäckerei, die nebenbei in der Kirche die Orgel
spielte. Auch Miss Crewe besaß ein Auto, das von Miss Kitchin gefahren wurde,
und die beiden nahmen ihn mit nach Chester, Shrewsbury, Oswestry und so weiter
und luden ihn ebenfalls zum Tee ein. Für die feinen alleinstehenden Damen der
Gemeinde scheint er ein Geschenk des Himmels gewesen zu sein. Vermutlich
merkten diese neuen Freundinnen schnell, daß er und Hilda sich
auseinandergelebt hatten. Hilda war nicht gesund genug und hatte weder Lust
noch die gesellschaftlichen Voraussetzungen, um die Rolle der Pfarrersfrau zu
übernehmen. Und aufgrund dieses traurigen Umstandes muß Grandpa den Damen und
insbesondere MB erst recht verfügbar erschienen sein.
MB machte kurz nach der Ankunft
der Familie einen Besuch und begleitete Hilda »zum erstenmal« (wie das Tagebuch
— möglicherweise ironisch — berichtet) in die Kirche. Statt sich abzukühlen,
wird die Affäre noch heftiger: »War in Tallarn Green... habe mich mit MB
getroffen. Ein wunderschöner Tag« (19. September). Grandpa hält sich kaum
jemals in seinem neuen Pfarrhaus auf. Oft geht er zum Abendessen oder auf ein
Kartenspiel zu den Watsons, den Ladenbesitzern, bei denen er sich nach seiner
Ankunft im Dorf eingemietet hatte. Auch MB schaut häufig dort vorbei. Es dauert
nicht lange, und die Watsons sind in das Geheimnis eingeweiht. Als der Herbst
kommt, hält ihn sein Doppelleben aufs schönste in Atem. Selbst seine
Amtspflichten versprechen Kurzweil: »War bei der Versammlung im Gemeindesaal
wegen des Kulturprogramms... Es wird einiges zu tun geben in Hanmer.« Manchmal
ist das Tempo allerdings schwer durchzuhalten, denn am Samstag, dem 7. Oktober,
greift er auf seinen alten Trick zurück und versteckt sich im Arbeitszimmer,
während er offiziell unterwegs ist. »Habe beschlossen, den ganzen Tag weg
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