Die Anfänge meiner Welt
befürchteten Komplikationen sind
eingetreten. Am 9. Dezember schwört er MB einen Sündereid auf die Bibel und
verspricht ihr, seiner Untreue treu zu bleiben. Dichter Nebel hüllt Hanmer ein,
und er sitzt mehrere Tage zu Hause fest. »Mußte in endloser Trübsal und
Langeweile in der Küche hocken«, schreibt er am 19. Dezember. Selbst wenn er es
schafft, bis in die frühen Morgenstunden wegzubleiben, ist Grandma — die
bereits unter Schlaflosigkeit leidet — durchaus imstande, bis Tagesanbruch zu
wüten: »Habe wieder eine grauenvolle Nacht mit Hilda hinter mir. War die ganze
Nacht auf, in tiefem Elend über das alles.« Grimmig vermerkt er, daß die
Watsons den Tierarzt gerufen haben, um ihren Hund von seinem Elend zu
erlösen. Nicht daß er ein Tierfreund gewesen wäre; offensichtlich beneidete er
den Hund.
Das Elend war jedoch von völlig
anderer Art als die dumpfe Niedergeschlagenheit von einst. Es war ein mythisches Elend, das den Festtagen eine geheime Bedeutung verlieh: »Nun hat also das
aufregendste aller Weihnachtsfeste begonnen.« Er war voller Energie, fasziniert
vom Schauspiel seines Lebens. »Wie wird das alles enden?« fragte er sich, die
Hände um die Stuhlkante geschlossen. Es gab zweifellos Momente, in denen er
sich wünschte, MB loszusein. Sie war zu einer Verpflichtung geworden, einer
weiteren Last. Und doch verkörperte sie noch immer die Lockung des Abenteuers.
Am 27. Dezember schickte er ihr eine »Verzichterklärung« — »Das ist das Ende«.
Doch schon am nächsten Abend, als er in die Kirche hinüberging, um seine
Gewänder zu holen, folgte MB ihm und machte ihm »eine Szene... eine jammervolle
Nacht voller flehentlicher Bitten. Ich weiß mir keinen Rat mehr. Eine
unmögliche Situation. Hilda hat wieder Wutanfälle wegen MB. Nimmt das denn nie
ein Ende? Bin gar nicht erst ins Bett...« Als das Jahr und damit das Tagebuch zu
Ende geht, liebäugelt er mit einer Trennung, gleichzeitig aber auch mit dem
Gegenteil, und er verspürt den Wunsch nach weiteren Verwicklungen. Zum Abschluß
des Jahres 1933 hält er sich alle Möglichkeiten offen: »So endet ein für mich
höchst denkwürdiges Jahr. Ich bin an eine schöne Kirche auf dem Land versetzt
worden, wie ich es mir gewünscht habe, und ich habe hier viele sehr
liebenswerte Menschen kennengelernt. Aber ich fürchte, die Arbeit wächst mir
über den Kopf. Ich habe auch MB kennengelernt, und hier liegt das große
Fragezeichen für die Zukunft. Was wird sie bringen?? Das weiß Gott allein, denn
all dies war Sein Ratschluß. So lege ich denn die Zukunft in Gottes Hand.« MB
war also Gottes Idee.
Doch es gab noch andere
Projekte. Im neuen Jahr mußte sich privates Schauspiel den Platz im Tagebuch
mit öffentlichem teilen. Der Kulturausschuß der Gemeinde, der im Herbst
erstmals zusammengetreten war, hatte sich eine richtige Theateraufführung
vorgenommen, Grandpas erstes Laienspiel in Hanmer — und mit einemmal ist die
ganze Welt eine Bühne. Am Neujahrstag läuft er sich mit einer eigenen »Nummer«
im Rahmen eines sehr amateurhaften Amateurkonzerts im Gemeindesaal warm, einem
Monolog als »Fagin in der Todeszelle«. Bei der Aufführung aber ist er —
größtenteils hinter den Kulissen — die treibende Kraft: Er stellt das Orchester
zusammen, er leitet die Proben, er malt das Bühnenbild. Die Tagebucheinträge
bekommen etwas Unwirkliches, wenn man an das Drama des realen Lebens denkt, vor
dem er flieht. Mit Stoffballen und Farbdosen bewaffnet, steigt er aus den
Krächen und Szenen empor, um Szenen aus einer anderen Welt zu erschaffen, dem
unschuldigen, archetypischen Land Aschenputtels. »Habe heute gleich nach
dem Aufstehen mit dem Bühnenbild angefangen. Habe mit der Waldlichtung begonnen
und bin bis 16.30 gut vorangekommen... saß im Arbeitszimmer und habe mir eine
Dekoration für die Küche ausgedacht... Dekoration 1 heute vormittag
fertiggestellt. Habe sie am Nachmittag zum Trocknen aufgehängt.«
Er ist trefflich von der rauhen
Wirklichkeit abgeschirmt. Alles wird ihm zum Theater, oder, anders
gesagt, er nimmt nichts mehr ernst. Er beschließt, sein Leben zu vereinfachen
und eine moralische Entscheidung zu treffen — »Ich muß zu einem Entschluß
kommen« — , aber in Wirklichkeit schwelgt er in den Komplikationen der
Unentschlossenheit: »Das ist also das Ende, oder ist es der Anfang einer neuen
Lebensphase?« Die private Handlung spitzt sich zu — Mrs. Watson spricht mit ihm
über MB, MB und Hilda geraten sich
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