Die Anfänge meiner Welt
große Stücke auf mich hält.«
Er ist der Leidtragende, bedrängt von Hilda und dem Dorfklatsch. Doch in seiner
Großmut denkt er auch an die arme MB, auch sie ein Opfer, und das nur, weil sie
ihm zugetan ist... Er fürchtet den Skandal, aber noch mehr den Verlust seiner
Selbstachtung. Er kennt wenig Skrupel, wenn es gilt, sich seine hohe Meinung
von sich selbst zu bewahren — beispielsweise scheut er sich nicht, MB (jetzt,
da er nichts mehr von ihr wissen will) andeutungsweise vorzuwerfen, daß er sich
»einsam« fühlt, womit er sexuell ausgehungert meint, nach der Überfülle des
Herbstes. Andererseits wäre er nicht einsam, wenn er ihr nie begegnet wäre. Wie
dem auch sei: Die Geschichte war völlig verfahren, und das war das Kreuz, das
Grandpa zu tragen hatte.
So war es nur recht und billig,
dass die Sache Gottes in Hanmer schlechter vertreten wurde als zuvor. Grandpas
Leistungen auf der Kanzel litten darunter, daß er ohne MB auskommen mußte.
»Diese Einsamkeit setzt mir zu. Ich kann nicht mehr so predigen wie früher.« An
dem Sonntag, an dem er das schrieb (25. Februar), war der Gottesdienst gut
besucht, aber seine Predigt war »hundsmiserabel«. »Ich muß mich am Riemen
reißen, wenn ich die Bagage bei der Stange halten will«, fügt er patzig hinzu.
Er fürchtet, seine Ausstrahlung zu verlieren. MB demoralisiert ihn ebenso wie
Hilda, sie ist ein Alp, der seine Eigenliebe ruiniert, sein Selbstbewußtsein untergräbt
und ihm die Tour vermasselt. Doch im Gegensatz zu Hilda kann man sie
loswerden.
Die Sache zieht sich peinvoll
in die Länge, und mehr als einmal gewinnt die »Einsamkeit« die Oberhand über
seine Entschlossenheit. Aber er hält durch, und ganz allmählich beginnt er MB
zu hassen — was angesichts seines Verhaltens auf Gegenseitigkeit beruhen
könnte. Das Ende der Affäre hat eine traurige Nebenhandlung: Die arme Molly
kommt darin vor, deren junger Ehemann in den heißen Augusttagen, die den
Pfarrer und die Krankenschwester zusammengeführt haben, ertrunken ist. Molly
hatte Hilda zeitweise im Haus geholfen, doch am 26. August erlitt sie einen
Zusammenbruch und trank Petroleum, und MB kümmerte sich um sie. Am nächsten
Tag, so berichtet Grandpa im Tagebuch, »wendet MB sich plötzlich gegen sie.
Molly kommt nach Wrexham ins Armenhaus und wird möglicherweise wegen versuchten
Selbstmords vor Gericht gestellt.« Tags darauf spricht Hilda mit dem Inspektor,
und »Molly darf wieder zu uns. Aber sie muß so schnell wie möglich aus Hanmer
weg...« Es sieht ganz so aus, als sei Molly zu einer Schachfigur geworden. Das
Pfarrhaus dürfte ohnehin kein sehr geeigneter Zufluchtsort für eine junge Frau
gewesen sein, die um ihren Liebsten trauert, und jetzt nützen Hilda und MB Mollys
bedauernswerte Lage auch noch aus, um sich gegenseitig kleinzukriegen.
Plötzlich war Hilda in Grandpas Tagebuch wieder ein Mensch, so erfreut war er,
einen Beweis für MBs Anmaßung, Herzlosigkeit und sogar Sadismus zu bekommen.
Sein Resümee der unglückseligen Geschichte (Molly war schon vergessen) lautete:
»Inzwischen verabscheue ich MB regelrecht.« Dennoch wurde es Juni, bis sie
endgültig Schluß machten. Das gab ihm Gelegenheit, noch eins draufzusetzen,
indem er ihr zum Geburtstag im Mai einen Brief mit der Anrede »Liebe
Gemeindeschwester« schrieb, von anderen subtilen Grausamkeiten ganz zu
schweigen.
Keiner von beiden hätte aus
Kummer Petroleum getrunken, soviel ist gewiß. Nur Angehörige der niederen
Schichten träumten so naiv vom großen Vergessen, nur sie konnte man einfach
entfernen. Grandpa und MB dagegen lebten weiter in Hanmer, an ihr Amt gebunden,
voller Haß aufeinander und auf Hilda, die sie beide haßte. Auch dieser Aspekt
des Lebens auf dem Lande ist heute, da eine Mittelschicht-Diaspora grundbesitzender
Vaganten die ländlichen Regionen bevölkert, verlorengegangen: Die ganz
spezielle Qual, mit solch realen Geistern der eigenen Vergangenheit leben zu
müssen. Das ist das Tragikomische an der Geschichte von Grandpa und MB — für
eine Tragödie sind sie zu anpassungsfähig, für eine Komödie zu abscheulich. In
Shakespeares Tragikomödie Maß für Maß benennt ein unbeholfener Moralist
namens Ellbogen, der klüger ist, als er ahnt, die härteste und unentrinnbarste
aller lebenslangen Freiheitsstrafen: »Du siehst jetzt, du übler Schuft, was
über dich gekommen ist. Du sollst jetzt fortfahren, du Halunke, du sollst
fortfahren.« So erging es auch den beiden. Hätte der Herr ihr Treiben
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