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Die Anfänge meiner Welt

Die Anfänge meiner Welt

Titel: Die Anfänge meiner Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lorna Sage
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man mit sich herumtragen und mit dem man spielen
konnte. Man aß sie zwischen den Mahlzeiten und verdarb sich damit den Appetit,
und die leere Tüte konnte man aufblasen und zerknallen. Doch die wichtigsten
und eindrucksvollsten unter den kurzlebigen Neuheiten der fünfziger Jahre waren
die Glühbirnen, die es in Klar und in Matt gab. Jedes der Gemeindehäuser hatte
in der Mitte des Wohnzimmers ein Deckenlicht. Manche Bewohner umgaben es mit
einer an Ketten hängenden Preßglaskugel und hatten außerdem Stehlampen in den
Ecken. Schaltete man das Licht ein, trat das zeitlose Dunkel den Rückzug an.
    Auch draußen wurde es langsam
Frühling, und mit ihm kamen Huflattich, Schneeglöckchen, Schlüsselblumen und
zerfranste wilde Narzissen. In der Schule schrieben wir — soweit wir überhaupt
schreiben konnten — bei Miss Daisy »Naturbetrachtungen« darüber, mit neuen
Kugelschreibern, die noch mehr klecksten als die alten Federhalter. Und wir
beschenkten Miss Daisy mit Unmengen von Froschlaich, der sich auch brav in
Kaulquappen verwandelte. Die jedoch fraßen sich gegenseitig auf, bis nur noch
wenige kannibalische Monster übrig waren — schwarzer Bauch und keine Spur von
Beinen — , die dann in den Ausguß gekippt wurden. Diese widernatürliche
Entwicklung tauchte in den »Naturbetrachtungen« nicht auf, denn sie sollten ja
die allumfassende Ordnung der Dinge widerspiegeln und nicht das, was gerade in
unserer Schule passierte. Außerhalb der Schule wurden aus Kaulquappen
anstandslos Frösche, wie wir genau wußten, denn die Gegend war so naß, daß wir
uns mehr oder weniger im selben Element bewegten wie sie.
    Überall um Hanmer herum
gluckerte es, in Bächen, Entwässerungskanälen und Gräben, und auch in Pfützen,
Gruben, Teichen und Seen stand das Wasser. Doch auch diese Natur war nicht so
»natürlich«, wie es sich gehört hätte. Von fern war Hanmer ein überaus
malerischer Ort, aus der Nähe aber war seine Substanz schwer und seltsam. Im
Frühjahr zog der Matsch an den Füßen, man spürte den Sog bei jedem Schritt. Das
war es, was mir am Umherstreifen im Gelände so gefiel: dieser zähe Widerstand
in jedem klebrigen Erdklumpen. Man konnte sich davon hypnotisieren lassen, so
selbstvergessen setzte man einen Fuß vor den anderen. Man verlor sich darin,
man wurde immer langsamer und blieb schließlich benommen stehen, so daß man
einen ganz passablen Dorftrottel abgegeben hätte, der damit zufrieden ist,
stundenlang im Dickicht zu sitzen und auf nichts zu warten. Nicht wenige
Menschen in und um Hanmer taten das damals, darunter auch einzelne Patienten in
blauen Krankenhauskitteln aus einem ehemaligen Internierungslager im wenige
Meilen entfernten Penley, die meisten von ihnen TBC-kranke Polen. Unter der
Jugend von Hanmer hieß es, sie seien Deutsche, und wenn wir zu mehreren waren,
verhöhnten wir sie mutig, weil sie den Krieg verloren hatten. Doch sie
beachteten uns nicht und wanderten weiter, den Blick traurig ins Leere
gerichtet. Dann waren da noch die aus der Vorkriegszeit übriggebliebenen
Landstreicher und einige ausgewachsene Dorftrottel, die mit Hecken und Gattern
redeten und ihre Hosen mit Bindfaden zusammenhielten.
    Doch sosehr ich auch versuchte,
mich in der Landschaft zu verlieren, war ich als Außenseiterin doch immer noch
Anfängerin und fühlte mich in dieser Rolle unbehaglich. Andere Kinder, die sich
ständig draußen herumtrieben, hatten, wie sich herausstellte, etwas zu
erledigen: Sie mußten große Brüder oder Schwestern holen, sie mußten jemandem
auf dem Feld oder auch Dad im Pub etwas ausrichten. Man streunt mit weit mehr
Überzeugung, wenn man wenigstens die Spur einer Pflicht vernachlässigen kann.
Oft vermochte mich auch noch soviel Trödeln nicht in den Zustand verträumter
Geistesabwesenheit zu versetzen, nach dem es mich so sehr verlangte. Dann war
ich schlicht einsam. Ich wünschte mir sehnlichst Freunde, und wie es sich so
traf, weckte der Umzug in die Sozialsiedlung neue Hoffnungen, denn er gab mir
die Möglichkeit, mich mit zwei Mädchen aus der Schule anzufreunden, mit denen
ich, solange ich im Pfarrhaus wohnte, keinen Kontakt gehabt hatte. Jetzt waren
Janet Yates und Valerie Edge Nachbarinnen. Valerie, braungelockt, rosig und
groß für ihre acht Jahre, wohnte in dem Haus, das als erstes fertig geworden
war und schon einen richtigen Garten mit Dahlienrabatten hatte. Janet — wie ich
schmächtiger, aber im Gegensatz zu mir sauber und ordentlich — kam von einem
kleinen

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