Die Angebetete
Kayleighs Schultern sich während dieser Ausführungen angespannt hoben. Die junge Frau war sich wegen des Konzerts eindeutig noch nicht so sicher. Nur weil die Mörder ausgeschaltet worden waren und Edwin keine Bedrohung mehr darstellte, befand sie sich noch lange nicht in der seelischen Verfassung, nach den Verbrechen der letzten Tage eine Bühnenshow zu bestreiten.
Und dann sah Dance, wie die junge Frau kaum merklich in sich zusammensackte. Was bedeutete, dass sie aufgab.
»Ja, Daddy, ist gut.«
Die Stimmung des Abends war umgeschlagen, doch Bishop Towne bekam nichts davon mit. Er stemmte sich aus seinem Sessel wie ein Büffel, der ungestüm aus einem durchschwommenen Fluss ans Ufer trampelte, und schlenderte in die Küche. »He, M-G, was backt ihr denn da?«
Kayleigh schaute ihm mit grimmiger Miene hinterher. Dance nutzte die Gelegenheit, um in ihre Handtasche zu greifen und der Sängerin den Umschlag zu geben, der Bobbys letzten Willen und die Kopie von Mary-Gordons Adoptionspapieren enthielt. Kayleigh sah ihn an. »Diese Dokumente sind während der Ermittlungen aufgetaucht«, sagte Dance leise. »Außer mir weiß niemand davon. Mach damit, was du für richtig hältst.«
»Was …?«
»Du wirst schon sehen.«
Die Frau starrte auf den dünnen Umschlag und hielt ihn mit beiden Händen, als würde er fünf Kilo wiegen. Dance begriff, dass sie den Inhalt kannte. »Du musst das verstehen. Ich konnte …«
Dance umarmte sie. »Das geht mich nichts an«, flüsterte sie. »Und jetzt fahre ich zurück zum Motel. Ich muss noch meinen Bericht diktieren.«
Kayleigh steckte den Umschlag ein und bedankte sich bei Dance für alles, was sie getan hatte. Dann ging sie hinein.
An ihrem Wagen drehte Kathryn sich noch einmal um und konnte einen Blick ins Haus erhaschen. Suellyn und Sheri standen an der Kücheninsel und blätterten in einem Kochbuch. Kayleigh setzte sich auf einen Hocker und hob Mary-Gordon auf ihren Schoß. Eine kinesische Analyse war überflüssig. Das fröhliche Kreischen der Kleinen verriet, dass die Umarmung gerade besonders fest ausfiel.
Während Dance die lange dunkle Auffahrt hinunterfuhr, dachte sie nicht über die Familie Towne nach, sondern über die drohende Katastrophe, auf die ihr eigenes Privatleben zusteuerte. Die Erinnerung an den Kuss auf dem Parkplatz ließ sie nicht los – halb aus Freude, halb aus Bestürzung.
Sie scrollte auf dem Bildschirm des Bordcomputers durch die Wiedergabeliste ihres iPods und suchte nach einem Lied, das ihr gerade in den Sinn gekommen war – einer von Kayleighs Songs, was sonst? Er hieß: »Is it Love, is it Less?« Dann erklang die Melodie aus den volltönenden Lautsprechern des Pathfinder.
Is it left, is it right? Is it east, is it west?
Is it day, is it night? Is it good or the best?
I’m looking for answers, I’m looking for clues.
There has to be something to tell me the truth.
I’m trying to know, but I can just guess,
is it love between us?
Is it love, is it less?
Ist es links, ist es rechts? Ist es Osten, ist es Westen?
Ist es Tag, ist es Nacht? Ist es gut oder am besten?
Ich suche nach Antworten, ich suche nach Anhaltspunkten.
Es muss doch irgendwas geben, das mir die Wahrheit verrät.
Ich würde es gern wissen, aber ich bin unschlüssig.
Ist das zwischen uns Liebe?
Ist es Liebe oder ist es weniger?
DONNERSTAG
61
»Gracias, Señora Dance.«
»De nada.«
Dance schaltete in der Garage von José Villalobos den digitalen Rekorder aus und fing an, die Kabel und Mikrofone einzupacken. Sie hatte den Tag nicht als Polizistin, sondern als Toningenieurin und Produzentin verbracht. Los Trabajadores hatten soeben die letzte Aufnahme beendet – einen Son huasteco im traditionellen Stil des nordöstlichen Mexiko, bei dem auch eine achtsaitige Gitarre, genannt Jarana , sowie eine Fiedel zum Einsatz kamen. Der Geiger, ein drahtiger Vierzigjähriger, der ursprünglich aus Juarez stammte, hatte ein wahres Feuerwerk entfesselt und sich sogar an Improvisationen nach Art von Stephane Grappellis Quintette du Hot Club de France gewagt.
Dance war von dieser bizarren und fesselnden musikalischen Reise begeistert gewesen und hatte sich zwingen müssen, bei den schnellen, ansteckenden Melodien nicht mitzuklatschen.
Nun war es kurz nach siebzehn Uhr, und sie trank mit der Band ein mexikanisches Bier. Dann ging sie zurück zu ihrem Pathfinder. Ihr Telefon summte. Es war eine SMS von Madigan. Er fragte, ob sie vorbeikommen und die Abschrift ihres Berichts zum Fall
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