Die Angebetete
Peter Simesky und Myra Babbage überprüfen könnte, den sie letzte Nacht noch diktiert hatte.
Sie überlegte kurz – denn sie war erschöpft –, beschloss dann aber, es hinter sich zu bringen. Beim Blick auf das Display ihres iPhones fiel ihr auf, dass sie außerdem einen Anruf verpasst hatte.
Jon Boling.
Sie dachte erneut an die »San-Diego-Situation«, wie sie das inzwischen nannte. Und als Erstes fiel ihr ein, wie sie Michael O’Neil geküsst hatte.
Ich kann Jon nicht anrufen, riet ihr Verstand.
Während ihr Finger auf Wahlwiederholung drückte.
Das Trillern der Nummer. Dann … die Mailbox.
Enttäuscht, verärgert und erleichtert trennte sie die Verbindung, ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Eigentlich wäre das ein guter Titel für einen Kayleigh-Towne-Song, dachte sie. »Direkt auf die Mailbox«.
Eine halbe Stunde später traf sie im Sheriff’s Office ein. Sie war offiziell zum Deputy ehrenhalber ernannt worden und konnte ungehindert den Empfangsschalter und die Sicherheitsschleuse passieren. Mehrere Beamte, die sie gar nicht kannte, winkten ihr zum Gruß freundlich zu.
Sie betrat Madigans Büro. Die Suspendierung des Chief Detective war in vollem Umfang aufgehoben worden; Edwin hatte seine Anzeige zurückgezogen.
»Nehmen Sie denn nie Zuckerstreusel?«, fragte sie mit Blick auf den Pappbecher, den er gerade begeistert leerte, und setzte sich auf die abgenutzte Couch.
»Wie bitte?«, fragte Madigan.
»Auf Ihre Eiscreme. Oder Schlagsahne oder Sirup?«
»Nein, das verdirbt den Geschmack. Und bedeutet zusätzliche Kalorien. Genau wie Waffeln. Bei Gelegenheit werde ich Ihnen mal meine Eiscreme-Theorie darlegen. Die ist philosophisch. Haben Sie schon mal welches selbst gemacht?«
»Eis?«
»Ja.«
»Es gibt Leute auf der Welt, die Eiscreme, Joghurt, Pasta und Brot selbst herstellen. Und es gibt Leute, die das Zeug kaufen. Ich bin eine Käuferin.«
»Da bin ich ganz bei Ihnen. Das hier ist für Sie.« Er brachte einen weiteren Becher zum Vorschein. Chocolate Chip. Und einen Metalllöffel.
»Nein, ich …«
»Seien Sie nicht so voreilig, Deputy«, brummte Madigan. »Sie wollen jetzt ein Eis. Ich weiß es.«
Das stimmte. Sie nahm den Becher und aß mehrere Löffelvoll. Er musste das Eis vor ungefähr zehn Minuten in den Becher gefüllt haben, schätzte sie. Es war leicht geschmolzen und lecker. Genau wie sie es mochte. »Das ist gut.«
»Natürlich ist es gut. Es ist Eiscreme. Hier ist der Bericht. Werfen Sie mal einen Blick darauf, und lassen Sie hören, was Sie davon halten.« Er schob ihr die Seiten über den Tisch zu. Sie nahm das Dokument und las es.
Crystal Stanning hatte von Dance’ Tonband eine Abschrift angefertigt. Alles war so weit in Ordnung. Kathryn formulierte ein oder zwei Gedanken etwas ausführlicher und schob die Seiten zurück.
Sogar zu dieser Uhrzeit durchdrang die Hitze des San Joaquin Valley noch das ganze Gebäude.
Was soll’s? Ich fahre zu Macy’s, kaufe mir einen Badeanzug und hocke mich in den Pool des Mountain View, bis ich ganz runzlig bin.
Dance streckte sich, stand auf und wollte sich soeben von dem Detective verabschieden, als das Telefon auf seinem Tisch klingelte. Er drückte den Lautsprecherknopf. »Ja?«
Dance aß ihr Eis auf. Dachte kurz daran, ihn um einen Nachschlag zu bitten, entschied sich dann aber dagegen.
Natürlich ist es gut. Es ist Eiscreme …
»Hallo, Chief. Miguel hier. Lopez.«
»Sie arbeiten seit vier Jahren für mich. Ich kenne Ihre Stimme«, murmelte Madigan und musterte den Eiscremerest in seinem Becher. Vielleicht schätzte er ab, wie viele Löffelvoll ihm noch blieben. »Was gibt’s?«
»Was irgendwie Komisches.«
»Werden Sie es mir verraten, oder lassen Sie das einfach für sich stehen?«
»Hören Sie KDHT ?«
»Den Radiosender? Manchmal. Kommen Sie zum Punkt. Worum geht’s?«
»Ich habe auf dem Heimweg KDHT gehört«, sagte der Deputy. »Und da läuft gerade eine Sendung mit Publikumsbeteiligung. ›Bevo am Abend‹.«
»Lopez!«
»Okay, Bevo ist also der DJ , und sie erfüllen Hörerwünsche. Vor ungefähr fünf Minuten hat jemand sich ein Lied gewünscht. Genau genommen einen Teil von einem Lied. Von einem von Kayleighs Liedern.«
Dance erstarrte. Und setzte sich wieder.
»Und?«, rief Madigan.
»Der Wunsch kam per E-Mail, unterzeichnet mit ›Ein Kayleigh-Fan‹. Und das Lied war ›Your Shadow‹. Nur die letzte Strophe. Der DJ hielt das für einen Scherz und hat den ganzen Song gespielt. Aber ich habe mir
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