Die Angebetete
nicht. Wir haben Jobs, Familien, bebés . Jesus hier hat Zwillinge – er muss jetzt los und ihnen die Windeln wechseln.« Ein Blick zu dem gut aussehenden jungen Mann, der gerade grinsend seine alte verschrammte Gitarre der Marke Gibson Hummingbird in ihrem Koffer verstaute.
Sie verabschiedeten sich, und Dance und Kayleigh stiegen in den Wagen. Kathryn hatte ihren Pathfinder am Mountain View stehen gelassen und war mit Kayleigh in deren dunkelgrünem SUV hergekommen. Darthur Morgan nickte ihnen wortlos zu und machte sich auf den Rückweg zu Dance’ Motel. Er hatte draußen im Wagen gewartet, um die Straße im Auge zu behalten. Auf dem Beifahrersitz lagen sechs oder sieben kleine, in Leder gebundene Bücher mit goldener Prägeschrift auf den Rücken. Klassiker, vermutete Dance. Doch er schien nicht darin zu lesen, wenn er im Dienst war. Vielleicht waren sie sein Freizeitvergnügen abends auf dem Zimmer. Eine kleine Flucht vor der ständigen Begegnung mit dem Bösen.
Kayleigh schaute zum Fenster hinaus auf die schwach beleuchtete oder schwarze Landschaft. »Ich beneide die Leute«, sagte sie.
»Wieso denn?«
»Das gilt für viele Musiker auf eurer Website. Sie spielen abends oder an den Wochenenden für ihre Freunde und Angehörigen. Es geht ihnen nicht ums Geld. Manchmal wünschte ich, ich wäre nicht so gut. Achtung, Bescheidenheitsalarm. Aber du weißt, was ich meine. Ich wollte nie wirklich ein Star sein. Ich wollte einen Ehemann haben und« – sie nickte über die Schulter in Richtung des Hauses der Familie Villalobos – »Babys und denen und unseren Freunden etwas vorsingen … Es hat sich alles irgendwie verselbstständigt.«
Sie verstummte, und Dance ahnte, dass sie gerade dachte: Wenn ich nicht berühmt wäre, gäbe es auch keinen Edwin Sharp in meinem Leben.
Dance konnte im Fenster Kayleighs Spiegelbild erkennen. Ihr fiel auf, dass sie die Zähne zusammenbiss und wahrscheinlich Tränen in den Augen hatte. Dann wandte Kayleigh sich wieder zu ihr um, schob offenbar die finsteren Gedanken beiseite und lächelte schelmisch. »Also«, sagte sie. »Jetzt erzähl mal. Was machen die Kerle?«
»Männer?«
»Klar!«, sagte Kayleigh. »Hast du nicht einen Jon Soundso erwähnt?«
»Der großartigste Mann auf der Welt«, sagte Dance. »Ein schlauer Kopf. Er hat früher im Silicon Valley gearbeitet, aber inzwischen ist er Dozent und übernimmt Beratungsaufträge. Am wichtigsten ist, dass Wes und Maggie ihn mögen.« Sie fügte hinzu, ihr Sohn habe sonst immer große Probleme damit gehabt, dass seine Mutter gelegentlich mit Männern ausging. Vor Boling habe er keinen einzigen der anderen Kandidaten akzeptiert.
»Es war natürlich auch wenig hilfreich, dass einer der Männer, die ich den beiden vorgestellt habe, sich später als Killer entpuppt hat.«
»Nein!«
»Oh, wir sind nicht in Gefahr gewesen. Er war hinter demselben Täter her wie ich. Nur dass ich den Kerl einbuchten wollte. Mein Freund wollte ihn töten.«
»Ich weiß nicht«, sagte Kayleigh mit einem bösen Unterton. »Vielleicht ist das bisweilen gar keine so schlechte Idee.«
Wobei sie mutmaßlich erneut an Edwin Sharp dachte.
»Von Jon sind die Kinder jedenfalls ganz begeistert. Und es läuft gut.«
»Und?«, fragte die Sängerin.
»Und was?«
»Erzählst du es mir nun oder nicht?«
Eigentlich bin doch ich die Kinesik-Expertin, dachte Dance. Sie überlegte kurz, entschied sich letztlich aber dagegen. »Ach, da ist nichts weiter … Wer weiß, was passieren wird? Ich bin erst seit ein paar Jahren verwitwet. Ich hab’s nicht eilig.«
»Sicher«, sagte Kayleigh und nahm ihr die lahme Ausrede nicht so ganz ab.
Und Dance verlor sich für einen Moment in ihren Gedanken. Ja, sie mochte Jon Boling sehr gern. He, vermutlich liebte sie ihn sogar, und bei mehr als einer Gelegenheit, wenn sie während der seltenen Nächte, die sie gemeinsam außerhalb der Stadt verbrachten, nebeneinander im Bett lagen, hätte sie es ihm auch beinahe gesagt. Und sie hatte gespürt, dass es ihm ebenso ging.
Er war nett, unbefangen, gut aussehend und hatte einen tollen Sinn für Humor.
Aber es gab auch noch Michael.
Michael O’Neil war Chief Deputy beim Monterey County Sheriff’s Office. Er und Dance arbeiteten schon seit Jahren zusammen, und wenn es jemanden gab, mit dem sie instinktiv auf einer Wellenlänge lag, dann O’Neil. Bei der Arbeit harmonierten sie perfekt, sie lachten über dieselben Witze, mochten das gleiche Essen, den gleichen Wein, konnten sich
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