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Die Angebetete

Die Angebetete

Titel: Die Angebetete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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atmete tief durch. In der feuchten Luft duftete es angenehm nach Shampoo.
    »Edwin«, sagte Kayleigh neckisch. »Ich habe mich für dich hübsch gemacht. Komm und sieh selbst.«
    Lächelnd ging er hinüber und sah sie vollständig bekleidet vor der Badezimmertür stehen.
    Edwin Sharps Augen weiteten sich. Dann schrie er entsetzt auf.

76
    »Nein, nein, nein! Was hast du getan?«
    Sie hatte in dem Kosmetiktäschchen, das er gekauft hatte, eine kleine Nagelschere mit stumpfer Spitze gefunden. Das Ding entsprach den Vorschriften für den Flugverkehr und galt daher als sicher.
    Aber es konnte immer noch schneiden. Und genau das hatte sie damit gemacht: Sie hatte sich ihre Haare abgeschnitten.
    »Nein!« Er starrte entgeistert den Haufen glänzender blonder Strähnen an, als läge dort auf dem Badezimmerboden die Leiche eines geliebten Menschen.
    »Kayleigh!«
    Ihr war eine struppige Ponyfrisur von fünf bis sieben Zentimetern Länge geblieben. Sie hatte überhaupt nicht geduscht; sie hatte die zehn Minuten darauf verwandt, ihr wunderschönes Haar abzuschneiden.
    »Was ist denn, Edwin?«, spottete sie in einem herausfordernden Singsang. »Magst du mich nicht mehr? Möchtest du mich denn gar nicht mehr stalken? … Aber es spielt doch keine Rolle, oder? Du liebst mich , richtig? Es ist egal, wie ich aussehe.«
    »Ja, ja, sicher. Es ist nur …« Er glaubte, ihm würde schlecht werden. Wie lange dauert es wohl, bis das nachgewachsen ist?, fragte er sich.
    Zehn Jahre, vier Monate …
    Sie könnte eine Mütze tragen. Nein, er hasste Frauen mit Mützen.
    »Ich habe den Eindruck, es macht dir doch was aus. Du siehst richtig verstört aus, Edwin.«
    »Warum, Kayleigh? Warum hast du das getan?«
    »Um dir die Wahrheit zu zeigen. Du liebst das Mädchen von den Albumcovers und Postern, aus dem Fernsehen und den Videos. Aus der Entertainment Weekly . Mich liebst du kein bisschen. Erinnerst du dich an Dienstag, als wir uns in dem Theater in Fresno getroffen haben? Du hast gesagt, meine Stimme und mein Haar seien das Beste an mir.«
    Vielleicht würde er jemanden auftreiben können, der aus ihren Haaren eine Perücke fertigte, solange es nicht nachgewachsen war.
    Aber wie sollte er das anstellen? Man würde ihn erkennen und die Polizei rufen. Nein, nein, nein, nein, nein! Was sollte er bloß machen?
    »Möchtest du mich jetzt noch vögeln?«, höhnte Kayleigh. »Wo ich doch wie ein Junge aussehe?«
    Er trat langsam vor und starrte den Haufen Haare an.
    »Hier!«, schrie sie, packte eine Handvoll davon und schleuderte sie ihm entgegen. Die Haare fielen zu Boden. Edwin kniete sich hin und griff verzweifelt danach.
    »Ich wusste es«, murmelte sie verächtlich und wich ins Badezimmer zurück. »Du kennst mich nicht. Du hast nicht die geringste Ahnung, wer ich bin.«
    Und dann wurde auch er wütend. Und er dachte bei sich: Doch, ich kenne dich sehr wohl. Du bist die Schlampe, die ich in etwa einer Minute ficken werde.
    Er richtete sich auf. Dann sah er etwas in ihrer Hand. Was …? Ach, bloß ein Becher. Der war aus Plastik. Und da drinnen war nichts, das zerbrochen war oder als Messer hätte zweckentfremdet werden können.
    Er hatte doch an alles gedacht.
    Nur an eines nicht.
    An das, was jetzt in dem Becher war.
    Salmiakgeist von unter dem Waschbecken. Sie hatte den Becher bis zum Rand gefüllt.
    Das abgeschnittene Haar war keine Botschaft oder Lektion gewesen. Sondern ein Ablenkungsmanöver.
    Er wollte sich abwenden, aber Kayleigh machte einen schnellen Schritt nach vorn und schüttete ihm das Putzmittel direkt ins Gesicht. Es drang ihm in Nase und Mund. Seine Augen konnte er gerade noch retten, aber schon die Dämpfe, die sich unter seine Lider schoben, brannten wie glühendes Eisen. Er schrie. Der Schmerz war schlimmer, als Edwin es je erlebt hatte, war wie eine Kreatur, ein Wesen, ein Ding in seinem Körper.
    Kreischend kippte er nach hinten und wischte sich panisch über das Gesicht. Alles, damit das bloß aufhörte! Würgend, keuchend, hustend.
    Es tut weh, es tut weh, es tut ja so weh!
    Dann noch mehr Schmerz, denn sie schlug ihm fest gegen den Hals, genau auf die Stelle, an der er sich die Schusswunde beigebracht hatte.
    Er schrie erneut.
    Edwin krümmte sich wehrlos am Boden und spürte, wie sie ihm den Schlüssel aus der Tasche riss. Er wollte ihren Arm packen, aber sie war sofort wieder außer Reichweite.
    Die bittere, beißende Chemikalie floss ihm noch tiefer in Mund und Nase. Er schnupfte und spuckte und hustete und rang

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