Die Angebetete
Überlegungen.
»Gut«, sagte sie. Was nicht im Mindesten der Wahrheit entsprach, aber sie hoffte, dass O’Neil den Wink verstehen würde.
Anscheinend ja. »Wann trefft ihr in etwa ein?«, fragte er.
Sie reichte die Frage an Harutyun weiter.
»In einer halben Stunde«, sagte er.
Dance teilte es O’Neil mit und fügte hinzu: »Lass uns jetzt Schluss machen, Michael. Wir rasen hier gerade mit mehr als dreihundert Kilometern pro Stunde durch die Landschaft.«
Was dem schnauzbärtigen Detective ein seltenes Lächeln entlockte.
Sie beendeten das Gespräch. Dance lehnte sich zurück.
»Soll ich langsamer fahren?«, fragte Harutyun.
»Nein, im Gegenteil, machen Sie schneller«, sagte Dance.
Er trat aufs Gaspedal, und sie schloss wieder die Augen.
»Na, was hältst du davon?«, fragte Edwin fröhlich und wies mit ausholender Geste auf das Innere des Wohnwagens, das blitzsauber geputzt war. Es war hier drinnen außerdem heiß und stickig.
Kayleigh, die immer noch Handschellen trug und in der Kochnische stand, erwiderte nichts.
»Sieh mal, ein hochauflösender Fernseher, und ich habe bestimmt hundert DVD s. Und haufenweise von deinem Lieblingsessen.« Er öffnete zum Beweis die Schränke. »Von Whole Foods. Natürlich alles biologisch. Und auch deine Lieblingsseife.«
Ja, tatsächlich. Angesichts einer so weitreichenden Vorausplanung verließ sie der Mut.
Ihr fiel zudem auf, dass an verschiedenen Stellen des Wohnwagens Ketten an den Wänden befestigt waren. Sie endeten in Fesseln. Edwins Vorstellung von Rücksichtnahme schien sich darin zu äußern, dass er die Metallringe für ihre Hand- und Fußgelenke mit Lammwolle beklebt hatte.
Mr. Heute.
Dann verflüchtigte sich sein Lächeln mal wieder. »Wenn du mit mir ausgegangen wärst, wie ich dich gebeten hatte, wäre uns all dies erspart geblieben«, sagte Edwin. »Einfach nur zum Abendessen. Und danach hättest du während der Reparaturarbeiten an deinem Haus ein paar Tage bei mir gewohnt. Was wäre denn schon groß dabei gewesen?«
Kayleigh spürte, dass er vor Wut bebte.
Edwin hat ein Problem mit der Realität. So wie alle Stalker.
Seine Stimme wurde wieder frostig. »Ich weiß, dass du keine Jungfrau mehr bist … Ich bin sicher, du wolltest niemanden vögeln, es ist einfach irgendwie passiert. Aber du hast Bobby gevögelt, nicht wahr? … Nein, ich will es gar nicht wissen.« Er überlegte kurz. »Und du hast gewiss auch nichts Schräges getan – du weißt schon, Ekliges. Die braven Mädchen, die mit den Brillen und hochgeschlossenen Blusen, die stellen nämlich manchmal echt wilde Dinge an. Aber du nicht.« Er nahm sie genau in Augenschein. Und dann – als würde ein Schalter umgelegt – hellte seine Miene sich auf und er lächelte. »He, schon in Ordnung. Du gehörst jetzt zu mir. Es wird alles gut.«
Er zeigte ihr den Wohnwagen etwas eingehender. Das Ding war natürlich wie ein Schrein eingerichtet. Poster und Andenken, Kleidungsstücke und Fotos.
Überall Kayleigh Towne.
Aber keine Waffen.
In der Küche gab es keine scharfen Messer – das Erste, wonach sie Ausschau hielt. Auch nichts aus Glas oder Keramik. Sie sah eine Schachtel Zigaretten, aber nirgendwo ein Feuerzeug.
Edwin folgte ihrem Blick. »Keine Sorge«, versicherte er sogleich. »Ich rauche nicht beziehungsweise nicht mehr. Ich habe lediglich ein paar von den Dingern benötigt, um eine Spur zu dieser großmäuligen Alicia zu legen. Für dich, Kayleigh, lasse ich komplett die Finger von Zigaretten und Alkohol. Ich bin clean. Und ich habe nie Drogen genommen – im Gegensatz zu diesem … Freund von dir, Mr. Bobby Prescott.«
Sie schwitzte stark. »Das hat doch alles keinen Sinn, Edwin. Meinst du nicht, dass zehntausend Leute nach mir suchen werden?«
»Da wäre ich mir nicht so sicher. Vielleicht glauben die ja, dass du mit jemandem durchgebrannt bist, der dich liebt und für dich sorgt. Und sie gehen weiterhin davon aus, dass Alicia hinter allem gesteckt und die Morde und Anschläge begangen hat.«
Hatte er so sehr die Bodenhaftung verloren?
»Doch auch wenn sie nach uns suchen, werden sie uns nicht finden. Die glauben, wir verstecken uns in Monterey. Mehr als dreihundert Kilometer von hier entfernt. Diese Schlampe, mit der ich eine Weile ausgegangen bin, hat ihnen davon erzählt. Ich wusste, sie würde mich verraten. Deshalb habe ich ihr schon vor langer Zeit bestimmte Informationen untergeschoben. Wir sind hier ganz für uns allein. Und auf der Fahrt hierher hat es weder
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