Die Angebetete
allseitige Befürchtung war fast mit Händen zu greifen. Kayleigh war die am wenigsten impulsive Künstlerin der Welt. Wenn sie hinausstürmte, dann war das kein Abgang einer Diva, die in der Garderobe darauf wartete, dass man sie mit Schmeicheleien zurückholte. Ihre Abwesenheit schien eher der Aussage in einem ihrer frühen Hits zu entsprechen: »Gone For Good (and It’s Good to Be Gone).«
Bishop Towne stand allein da und wischte sich die Hände an der Hose ab. Die Show hätte schon vor fünf Minuten anfangen sollen. Das Publikum war noch nicht ungeduldig, aber es würde nicht mehr lange dauern …
Dance merkte, dass ihre Schultern schrecklich verkrampft waren. Sie warf einen Blick auf Bolings gut aussehendes Gesicht, sein schütteres braunes Haar, die perfekten Lippen.
Aber dann rief sie sich die stählerne Härte ins Gedächtnis, zu der ihre Seele fähig war. Sie hatte einen Mann durch eine Tragödie verloren. Wenn sie auch Boling verlieren musste, dann lieber auf diese Weise – für alle ging das Leben weiter, sie waren gesund, und es blieb ein Rest Zuneigung. Wer weiß, was die Zukunft bringen würde? Zumindest gab es keine andere Frau in seinem Leben – glaubte sie. Sie würde dafür sorgen, dass Boling und die Kinder in Verbindung blieben. Gott sei Dank waren sie noch nicht zusammengezogen.
»Hier. Hab ich mit reingeschmuggelt.«
Er reichte ihr einen Starbucks-Becher. Sie roch sofort, dass er Rotwein enthielt, und da Boling der Barista war, würde es ein guter sein. Ja, ein schöner Malbec, folgerte sie nach einem kleinen Schluck – eine der Sorten, die sie kürzlich bei Verkostungen in Monterey und Carmel kennengelernt hatten. Diese Abende hatten so viel Spaß gemacht …
Kathryn Dance ermahnte sich: keine Tränen.
Das war nicht verhandelbar.
»Alles in Ordnung?«
»Es war ein schwieriger Fall«, erklärte sie.
»Ich habe mir Sorgen um dich gemacht, weil das mit dem Telefonieren einfach nicht klappen wollte.«
Hör auf damit!, protestierte sie stumm. Bring mich dazu, dich zu hassen.
Er spürte ihre Anspannung und wich zurück, ließ ihre Hand los, gab ihr mehr Raum.
Und diese Fürsorglichkeit irritierte sie sogar noch mehr.
Doch dann beschloss er, dass der Zeitpunkt gekommen war. Sie konnte es mühelos an seiner Körperhaltung ablesen. Ja, er hatte wohl eigentlich noch damit warten wollen, aber nun zog er es vor, die schlechte Nachricht endlich loszuwerden. So waren Männer. Entweder gaben sie nie etwas Persönliches und Ernsthaftes von sich, oder sie platzten immer im falschen Moment damit heraus.
»He, ich wollte etwas mit dir besprechen«, sagte Boling.
Oh, dieser Tonfall. Gott, wie sehr sie diesen Tonfall hasste.
Sie zuckte die Achseln und trank einen Schluck Wein. Einen großen Schluck.
»Okay, ich weiß, das wird sich merkwürdig anhören, aber …«
Um Himmels willen, Jon, bring’s hinter dich. Ich muss mich um meine Kinder kümmern, meine Hunde, meine Gäste aus New York … und um meine Freundin hier, die gleich den Zorn von 35 000 Menschen auf sich ziehen wird.
»Tut mir leid, ich bin deswegen ein wenig nervös.«
»Jon, es ist okay«, sagte sie und fand, dass sie überraschend freundlich klang. »Red weiter.«
»Ich weiß, dass wir uns, nun ja, gewissermaßen darauf geeinigt hatten, nicht mit den Kindern wegzufahren, nicht über Nacht. Tja …« Er schien zu merken, dass er stammelte, und sagte einfach: »Ich möchte, dass wir alle zusammen eine Reise unternehmen.« Er wandte den Blick ab. »Ich muss wegen dieses Beraterjobs für zwei Wochen runter nach San Diego, genauer gesagt, nach La Jolla. Die Firma hat für mich ein Haus am Strand gemietet. Das geht offenbar nur für einen ganzen Monat, und die haben gesagt, ich könnte im Anschluss an den Job ruhig noch ein oder zwei Wochen bleiben. Daher habe ich mir gedacht, wir könnten alle gemeinsam dort Urlaub machen und uns Hearsts Schloss ansehen und dann wegen der Kinder nach Legoland und Disneyland fahren. Na ja, genau genommen möchte ich auch dorthin. Nicht unbedingt nach Legoland. Aber nach Disneyland. Also, was meinst du? Eine Woche in San Diego, wir alle vier zusammen?«
»Eine Woche?«
Er verzog das Gesicht. »Okay, ich weiß, du kannst nicht so einfach freinehmen, vor allem weil du ja gerade erst weg warst. Aber falls es irgendwie möglich ist … Weißt du, das Haus hat vier Schlafzimmer. Wir hätten jeder ein eigenes Zimmer, du und ich auch. Aber es wäre trotzdem ein guter Schritt vorwärts, mit den Kindern
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