Die Angebetete
gestern überhaupt einen Eindringling gegeben hatte.
Sie machte sich auf den Weg und ließ das Bitte-nicht-stören-Schild außen an der Tür hängen, obwohl sie dessen Wirkung inzwischen bezweifelte.
Draußen, im unbarmherzigen Sonnenschein, floss ihr sofort der Schweiß über Schläfen, Gesicht und Achseln. Dance fischte die Schlüssel des Pathfinder aus ihrer Handtasche und vergewisserte sich automatisch, dass die Glock an ihrer Hüfte hing.
Nur war da heute leider keine Waffe.
9
Hatte es wirklich nur ein Opfer gegeben?
Als Dance auf den Parkplatz des Kongresszentrums einbog und zum Bühneneingang fuhr, hielten sich dort weitaus mehr Feuerwehrleute, Rettungssanitäter und Polizisten auf, als sie erwartet hatte. Es waren mindestens zwei Dutzend, die langsam umhergingen, in ihre Telefone oder Funkgeräte sprachen und verbeulte Koffer bei sich trugen, deren grüne, rote und gelbe Farben an eine Ampel denken ließen – oder an Kinderspielzeug.
Vier Feuerwehrfahrzeuge, zwei Krankenwagen, acht Streifenwagen und mehrere zivile Polizeifahrzeuge.
Dance fragte sich erneut, ob TJ s Informationen stimmen konnten. Waren nicht doch noch andere Personen ums Leben gekommen?
Sie fuhr weiter zu einem Dodge, nicht markiert, aber unverkennbar, hielt an und stieg aus. Eine Frau in der Uniform eines Deputy sah in ihre Richtung. Auf dem kleinen metallenen Namensschild über der straff eingepackten Brust stand C. Stanning . Ihr Haar war – ebenfalls straff – zu vorwitzigen kleinen Zöpfen geflochten, deren Spitzen in blauen Haarbändern endeten.
»Kann ich Ihnen helfen?«
Dance zeigte ihren CBI -Dienstausweis vor. Die Frau schien nicht zu wissen, was sie davon halten sollte. »Sie … Hat Sacramento sich eingeschaltet?«
Dance hätte beinahe geantwortet, sie mache hier bloß Urlaub und glaube das Opfer zu kennen. Doch in ihrem Job kam es auf den Instinkt an – im Umgang sowohl mit Verdächtigen als auch mit Kollegen. »Noch nicht«, sagte sie daher. »Ich war zufällig in der Nähe.«
Stanning dachte darüber nach – und vermutlich auch an die Anweisungen ihrer Vorgesetzten. »Okay«, sagte sie dann.
Dance ging weiter auf den kühlen Betonbau des Kongresszentrums zu. Ein greller Sonnenstrahl fiel ihr genau ins Gesicht. Sie wich in den Schatten aus, aber das nutzte auch nicht viel; die Luft zwischen den beiden hohen Mauern, die zum Eingang führten, war aufgrund der völligen Windstille furchtbar stickig.
Sie trat ein. Die Erleichterung über die Klimaanlage hielt ungefähr eine halbe Sekunde an, dann machte der Gestank sie gründlich zunichte.
Kathryn Dance arbeitete nun schon einige Jahre als Polizistin und hatte Hunderte von Tatorten aufgesucht. Als CBI -Agentin war sie jedoch nur selten als Erste vor Ort und hatte auch nichts mit der Spurensicherung zu tun. Wenn sie kam, war der größte Teil des Grauens längst gebändigt, die Blutungen gestillt, die Leichen mit Plastikplanen abgedeckt, die Körperteile eingesammelt und katalogisiert.
Der Geruch von verbranntem Fleisch und Haar traf sie daher vollkommen unerwartet und fuhr ihr wie ein Fausthieb in die Magengrube.
Sie ließ sich nicht davon überwältigen, aber sie wappnete sich und kämpfte energisch gegen die Übelkeit an. Dann betrat sie die große Halle, die nach Dance’ Schätzung etwa dreißigtausend Menschen fassen würde. Alle Scheinwerfer waren eingeschaltet und ließen das abgenutzte schäbige Dekor deutlich hervortreten. Es war fast, als hätte soeben eine Vorstellung oder ein Konzert geendet und die Veranstalter würden das Publikum nun möglichst schnell in die Lobby treiben wollen, damit es dort CD s und Andenken kaufte.
Auf der Bühne und im Zuschauerraum hielt sich ein Dutzend Leute in den diversen Uniformen von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst auf.
Dance stieg die Stufen zur Bühne empor und steuerte eine Gruppe am Rand des Orchestergrabens an. Von dort unten stiegen immer noch ein paar stinkende Rauchfetzen auf. Kathryn verlangsamte ihren Schritt, um den Würgreiz in den Griff zu bekommen. Dann ging sie weiter.
Was ist hier bloß geschehen?, wunderte sie sich. Ihr fiel der herabgestürzte Scheinwerfer vom Vortag ein.
Alle Polizisten hier trugen gelbbraune Uniformen. Bei zweien von ihnen erkannte Dance an Auftreten und Blicken sofort, dass sie den anderen übergeordnet waren. Die Erste war eine stämmige Latina Mitte fünfzig, mit langem Haar und pockennarbigem Gesicht. Ihre Haltung verriet, dass sie die eng geschnittene Uniform nicht
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