Die Angebetete
Mann auf dem Bildschirm – stark und robust, aber nicht schwerfällig. O’Neil war gekleidet wie üblich. Hellblaues Hemd, keine Krawatte und ein dunkles Sportsakko. Die meisten Detectives beim Monterey County Sheriff’s Office trugen Uniform – genau wie hier in Fresno –, aber O’Neil nicht. Er war der Ansicht, dass eine zwanglose Zivilmontur ihn bei Befragungen weiter brachte als Khaki und spitze Metallsterne.
Dance berichtete von dem Gespräch mit Sally Docking, der Exfreundin. »Ich muss leider sagen, dass sein Verhalten im Umgang mit ihr nicht zu dem Profil eines Stalkers passt.« Sie erklärte, dass Edwin es sogar gewesen war, der die Beziehung beendet hatte.
»Ich traue ihm trotzdem nicht über den Weg«, sagte Madigan.
»Natürlich nicht. Es ist bloß merkwürdig.«
»Ich habe übrigens Josh Eberhardt einen Besuch abgestattet«, fuhr O’Neil fort.
Dem Filesharing-Partner in Salinas.
»Wie höflich war er denn, der Besuch?«, fragte Dance.
»Ich konnte Amy überreden, mich zu begleiten.«
Amy Grabe, die Leiterin der FBI -Dienststelle San Francisco.
»Das FBI hat befunden, es lägen genügend bundesrechtlich relevante Copyright-Verstöße vor, um eine Razzia zu rechtfertigen. Im Rahmen einer gemeinsamen Einsatzgruppe.«
Was bedeutete, dass der Besuch nicht allzu höflich ausgefallen sein dürfte. »Beine auseinander, Hände an die Wand!«, war vermutlich die Grußformel gewesen.
Dance und O’Neil lächelten sich an. Die Bildqualität von Skype ließ zwar zu wünschen übrig, aber Kathryn hatte den Eindruck, er würde ihr zuzwinkern.
Was er natürlich nicht getan hatte.
Konzentriere dich gefälligst, rief sie sich selbst zur Ordnung.
»Gute Arbeit, Sir«, sagte Madigan und gönnte sich einen Löffelvoll Eiscreme. Die Sorte sah für Dance nach Pistazie aus. Sie hatte nicht gefrühstückt und zog in Erwägung, ihn um einen Becher Eis zu bitten.
»Auch von Eberhardts Haus aus wurde Filesharing betrieben, aber er schien eher für die Nachforschungen zuständig zu sein«, erläuterte der Detective aus Monterey. »Er behielt Hunderte von offiziellen und inoffiziellen Musiker-Fanseiten im Blick und hat sie offenbar nach potenziellen Kunden für illegale Downloads durchforstet. Dabei ging es nicht nur um Filesharing im eigentlichen Sinn, also um den wechselseitigen Austausch von Dateien, sondern auch um den Diebstahl und Verkauf digitaler Ware. Wer die Songs wollte, musste eine Gebühr bezahlen. Die hatten die Alben von ungefähr tausend Künstlern im Angebot. Es gibt da draußen einen wirklich … finsteren Untergrund aus Websites. Sie haben überwiegend mit kulturellen Dingen zu tun: Büchern, Filmen, Fernsehserien, Musik. Viele von ihnen berauben die Künstler und bereichern sich an ihrer Arbeit – etwa durch Bootlegs. Doch die meisten beschäftigen sich mit den Künstlern selbst. Stephen King, Lindsay Lohan, George Clooney, Carrie Underwood, Justin Bieber … und Kayleigh Towne. Und das alles findet im Verborgenen statt. Wer dort postet, benutzt Proxys, Portale und anonyme Accounts. Nichts davon taucht bei Google auf. Die können dem irgendwie entgehen.«
O’Neil nannte ihnen mehrere Internetseiten, deren Namen aus wirren Ziffern- und Buchstabenkombinationen bestanden. 299ek333.com zum Beispiel. Sobald man sich auf so einer Seite befand, stieß man auf Links, die scheinbar keinen Sinn ergaben – »Die siebente Stufe« oder »Gelernte Lektionen«.
Doch wenn man sich weiterklickte, erklärte er, stieß man zum wahren Kern dieser Seiten vor: der Welt der Berühmtheiten.
TJ Scanlon hatte keine einzige dieser beunruhigenden Websites gefunden.
»Wie es aussieht, bezieht Edwin viele seiner Informationen von hier«, sagte O’Neil. »Er hat sogar eine Menge über diesen Filesharer gepostet, der ermordet wurde – euer Opfer in Fresno.«
»Deutet irgendetwas darauf hin, dass Edwin an dem Mord beteiligt war?«, fragte Madigan.
»Nein, er hat die Leute lediglich gedrängt, solcherlei Angebote nicht zu nutzen. Das sei Kayleigh gegenüber, Zitat, ›respektlos‹. An Blanton direkt hat er sich nie gewandt.«
Natürlich nicht. Nicht der clevere Mr. Edwin Sharp.
O’Neil wandte sich kurz ab und tippte etwas ein. Dance erhielt eine E-Mail mit mehreren URL s. Sie hielt Harutyun ihr Telefon hin. Er nahm es und übertrug die Daten in einen Computer.
»Werden all ihre Anrufe überwacht?«, fragte O’Neil.
»Ja, aber wir versuchen, etwas Zeit zu schinden und es ihm zu erschweren, ihr die nächste
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