Die Angebetete
öffentliche Seite von Edwin Sharp, und dies hier war das wahre Internetleben des Stalkers. Sie konnten es zwar nicht mit Sicherheit sagen, aber einige der Postings mit den Initialen ES oder ESS im Benutzernamen waren vermutlich seine. Für Dance erinnerten Grammatik und Satzbau vieler dieser Einträge an die Texte, von denen sie wussten, dass Edwin sie verfasst hatte.
Dance hoffte, sie würden zumindest eine ansatzweise Drohung gegen Kayleigh Towne ausfindig machen und als Folge davon das Anti-Stalking-Gesetz anwenden können, doch leider erwies auch diese Quelle sich als so unergiebig wie alle anderen. Genau wie auf den etwas öffentlicheren Internetseiten waren die mutmaßlichen Äußerungen von Edwin Sharp nicht im Mindesten bedrohlich. Ganz im Gegenteil, er verteidigte Kayleigh standhaft. Und es ließen sich auch keinerlei Rückschlüsse auf weitere potenzielle Opfer ziehen. Verglichen mit ihm waren andere Fans beleidigend, einige sogar regelrecht bösartig. Edwin wirkte wie ein durch und durch loyaler, wenn auch etwas zu überschwänglicher Fan. Dance dachte bei sich, dass Edwin Sharp höchstwahrscheinlich nicht der einzige besessene Anhänger von Kayleigh Towne war. Nach der Lektüre der Postings erschien er sogar vergleichsweise gemäßigt.
Kein einziger Aspekt aus dem Leben dieser Prominenten blieb privat. Kathryn Dance lehnte sich zurück. Sie fühlte sich von der anmaßenden, zudringlichen Haltung der Poster geradezu besudelt – als wären die Künstler und Berühmtheiten, die sie zu Objekten ihres Interesses erkoren hatten, lediglich zu ihrem Zeitvertreib da, als eine Art Ersatzbefriedigung.
Je erfolgreicher jemand darin war, der breiten Masse zu gefallen, desto mehr schien diese sich berechtigt zu fühlen, dem Betreffenden die Seele aus dem Leib zu saugen.
Crystal Stanning erhielt einen Anruf. Dance achtete zunächst nicht auf sie, bis ihr auffiel, dass die Schultern des Deputys sich hoben und ihre Stirn sich in Falten legte, was häufig auf schlechte oder zumindest unerwartete Neuigkeiten hindeutete. »Bist du sicher?«, fragte Stanning.
Mittlerweile waren alle Augen im Raum auf sie gerichtet.
Sie trennte die Verbindung und verzog das Gesicht. »Das war mein Mann. Er hat unseren Sohn Taylor zum Footballtraining gefahren; das findet hier auch in den Schulferien statt. Und dann ist etwas Seltsames passiert. Ich hatte ihm davon erzählt, dass der Täter Strophen aus Kayleighs Song abspielt. Und er sagt, jemand habe sich in die Lautsprecheranlage am Sportplatz der Highschool eingeklinkt und das Kassettengerät so manipuliert, dass die dritte Strophe in einer Endlosschleife abgespielt wurde.«
»Oh, verflucht«, murmelte Madigan. »Er benutzt diesmal kein Telefon.«
Und war ihnen wieder mal einen Schritt voraus.
Welche Anhaltspunkte ergaben sich aus dem Text? Dance zog das Blatt zurate, das Harutyun ausgedruckt hatte.
One night there’s a call, and at first you don’t know
what the troopers are saying from the side of the road.
Then you see in an instant that your whole life has changed.
Everything gone, all the plans rearranged.
Eines Nachts kommt ein Anruf,
und im ersten Moment begreifst du nicht,
was die Polizei dir vom Straßenrand aus mitteilt.
Dann wird dir urplötzlich klar,
dass dein ganzes Leben sich soeben verändert hat.
Alles ist dahin, alle Pläne auf den Kopf gestellt.
Dance stutzte unwillkürlich, denn diese Strophe war wie ein Zitat aus ihrem eigenen Leben und erinnerte sie an den Tod ihres Mannes. Sie hatte von dem Unfall durch einen Anruf der Polizei erfahren.
Dann schob sie den Gedanken mit Mühe beiseite.
Wen wollte der Täter als Nächsten angreifen? Und sollte es irgendwo am Straßenrand geschehen?
Ein Blick auf die Karte der Region Madera-Fresno ergab geschätzte anderthalbtausend Kilometer Straßenverlauf.
Dance kam ein weiterer Gedanke: Die Überfälle auf Bobby Prescott und den Filesharer waren jeweils kurz nach den Anrufen erfolgt; es blieb ihnen allenfalls eine Stunde, um das nächste Opfer zu identifizieren und zu retten.
33
»Nicht vergessen«, mahnte Madigan. »Mit ›Road‹ muss nicht buchstäblich eine Straße gemeint sein.«
Dance nickte. »Roadcrew. Wie bei Bobby. Lassen Sie uns dort anrufen. Ich habe die Leute zwar angewiesen, vorsichtig zu sein, aber sie sollten trotzdem erfahren, dass er wieder ein Lied gespielt hat. Und wir müssen Alicia Sessions warnen. Im Cowboy Saloon konnte ich deutlich sehen, dass Edwin sie und Bobby gleichermaßen nicht
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