Die Angebetete
Gute Nacht.«
Kurz darauf ertappte Dance sich dabei, dass sie sich immer noch das Telefon ans Ohr hielt, obwohl ihre Mutter längst aufgelegt hatte. Sie ließ es sinken.
Der Verlust ihres Ehemanns war für Kathryn Dance wie ein digitales Ereignis, würde Jon Boling, das Computergenie, es wohl beschreiben. An oder aus. Ja oder nein. Tot oder lebendig.
Doch von Jon Boling verlassen zu werden? Das war analog. Es war vielleicht. Es war teilweise. Gehörte er nun zu ihrem Leben oder nicht?
Das große Problem jedoch war, dass er seine Entscheidung ohne sie getroffen hatte. Es spielte keine Rolle, dass der Job sich vermutlich überraschend ergeben hatte und er schnell handeln musste.
Verdammt, sie war ein Teil seines Lebens. Er hätte etwas sagen müssen.
Ihr fiel ein, dass Edwin Sharp gestern im Restaurant auf einen Song von Kayleigh angespielt hatte. »Mr. Tomorrow«. Es ging darin um einen leichtfertigen Herumtreiber, der schwört, er werde sich zusammenreißen und sich bessern. Er verspricht, sich zu ändern. Doch natürlich wird er das nie tun, weiß der Zuhörer.
Als Dance nun im Dunkeln im Bett lag und an die Decke starrte, ging dieses Lied ihr im Kopf herum, bis sie einschlief.
You know me by now, you’ve got to believe
you’re the number-one girl in the world for me.
I’ve sent her the papers, and she’s promised to sign.
It’ll just be a while, these things take some time …
Du kennst mich doch inzwischen, also bitte glaube mir,
dass du die Einzige für mich bist.
Ich habe ihr die Papiere geschickt,
und sie hat versprochen, sie zu unterzeichnen.
Es wird nur noch ein bisschen dauern,
diese Dinge brauchen eben etwas Zeit …
And his words are so smooth and his eyes look so sad.
Can’t she be patient, it won’t be so bad?
But sometimes she thinks, falling under his sway,
she got Mr. Tomorrow; she wants Mr. Today.
Seine Stimme ist so sanft, und sein Blick ist so traurig.
Kann sie nicht etwas mehr Geduld haben?
Es ist doch nicht so schlimm.
Doch bisweilen denkt sie,
wenn sie sich wieder mal bequatschen lässt,
dass sie Mr. Morgen hat und lieber Mr. Heute hätte.
DIENSTAG
32
Dance war bei P. K. Madigan und Dennis Harutyun im Sheriff’s Office.
Und noch eine weitere Strafverfolgungsbehörde war vertreten: Monterey County.
Michael O’Neils ruhige Augen blickten ihnen via Skype aus zweihundertvierzig Kilometern entgegen. Er war derjenige, den Kathryn gebeten hatte, Erkundigungen über den in Salinas ansässigen Partner von Frederick Blanton, dem ermordeten Filesharer, einzuziehen. Sie hätte die Anfrage auch an TJ Scanlon in ihrer eigenen Dienststelle schicken können. Doch aus einer Laune heraus hatte sie sich für O’Neil entschieden.
Madigan brachte den Deputy aus Monterey soeben auf den neuesten Stand. »Edwin ist letzte Nacht gar nicht erst nach Hause zurückgekehrt. Kayleigh hat gesagt, gegen zweiundzwanzig Uhr dreißig habe sie gehört, dass irgendwo auf dem Parkplatz vor ihrem Grundstück ein Wagen angelassen wurde. Ihr Leibwächter hat ausgesagt, er habe es ebenfalls gehört.«
Die unsichtbare Schlange …
»Kathryn und ich möchten ihn gern befragen, aber er geht nicht ans Telefon. Wir wissen nicht mal, wo er steckt. Heute Morgen hat einer unserer Deputys seinen Wagen auf dem Highway 41 gesehen, einer der größten Durchfahrtsstraßen hier. Er hat versucht, die Verfolgung aufzunehmen, aber Edwin muss ihn bemerkt haben und hat sich im Verkehr absetzen können.«
»Mit nur einem Wagen ist eine Verfolgung ohnehin schwierig«, sagte O’Neil.
»Und ich kann kaum Leute erübrigen; wir müssen schon zwei Zeugen und Kayleigh beschützen«, murmelte Madigan. »Unser Zuständigkeitsbereich umfasst mehr als fünfzehntausend Quadratkilometer. Und dafür stehen insgesamt nur vierhundertsechzig Streifenbeamte zur Verfügung.«
O’Neil verzog das Gesicht. Monterey County war nicht klein, aber das Verhältnis von Fläche zu Personalstärke sah dort nicht annähernd so schlecht aus. »Kathryn hat mir erzählt, er habe Kayleighs Schwester und Nichte vom Flughafen abgeholt«, sagte er. »Kann man ihn deswegen irgendwie belangen?«
»Kathryn wird mit den beiden noch ausführlicher sprechen«, sagte Madigan. »Doch es sieht nicht danach aus. Kaum zu glauben, aber er hat sich wie ein Gentleman benommen. Das kleine Mädchen war ganz begeistert von ihm, und die Schwester hat ihn – Achtung! – für den nettesten Freund gehalten, den Kayleigh in den letzten Jahren gehabt hat.«
Dance musterte den
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