Die Angst der Boesen
Handy wegwirfst?«
Sven brummte böse, aber Lilly scherte sich nicht drum. Die Stimmung in der Klasse war über Nacht eindeutig besser geworden.
Ilkay und Sven hatten sich ganz normal verhalten, als die Taschen in den Bus geladen wurden und Paul dabei zufällig direkt neben ihnen gestanden hatte.
Ebru war heute früh freundlich zu ihr gewesen und hatte ihr im Bad ihren Eyliner ausgeliehen. Auch Tatjana war wiederbesser drauf; sie hatte Lilly gefragt, ob sie anschließend noch mit zu ihr nach Hause käme, den Geburtstag ihrer Oma feiern, Leon käme auch und es gäbe leckeren Kuchen. Selbst die Standpauke der Lehrer hatte sich in Grenzen gehalten; beide waren vor allem froh darüber, dass die vermissten Schüler wohlbehalten wieder bei der Gruppe waren.
Nur ihr Ex musste noch etwas aufgeheitert werden.
Wenn man Lilly jetzt gefragt hätte, warum sie mit so einem immer noch Kontakt haben wollte, hätte sie es kaum sagen können. Vielleicht weil er der Einzige war, der ihr gezeigt hatte, dass er sie mochte, wenn auch auf unbeholfene, rohe Weise. Sven wollte sie zu seiner Freundin. Alle einfacher gestrickten Mädchen, die ihn genommen hätten, um einen starken Beschützer zu haben, ließ er links liegen. Sven wollte sie, die schwierige, eigensinnige Lilly, die sich nicht mit tief ausgeschnittenen Tops aufbrezelte, sondern meistens garstig und wenig weiblich gab. Logisch wollte er auch Sex. Damit hielt er nicht hinterm Berg und seine Direktheit wiederum fand Lilly okay, denn Heuchler hasste sie mehr als alles andere. Es war ja auch nicht so, dass sie prüde geworden wäre, nur weil der Ex ihrer Mutter seine Triebe nicht unter Kontrolle gehabt hatte. So viel Macht wollte sie der Vergangenheit nicht einräumen.
Dass es für Lilly nach der Trennung längst jemand anderen gab, konnte und durfte Sven nicht wissen. Zwischen ihm und ihrem Schwarm Jan-Oliver gab es keine Berührungspunkte.
Lilly seufzte innerlich. Ihr Jan-Oliver war auch in diesem Moment weit weg und quasi gar nicht existent. Warum da nicht ein bisschen mit Sven flirten?
Es würde auch Paul zugutekommen, wenn sie sich wieder besser mit Sven verstand. Paul würde das zwar nicht begreifen, er lebte nach dem Motto: »Deine Feinde sind auch meine Feinde«, und forderte das auch von anderen. DochLilly war sich sicher, Paul insgeheim einen Gefallen zu tun: Wenn sie Pauls Feinde besänftigte, half sie ihm mehr, als wenn sie sich stur und treu auf seine Seite stellte.
»Du hättest das Handy lieber mir schenken können, statt es wegzuwerfen«, sagte sie also und knuffte Sven ein bisschen. »Ich könnte gut ein neues gebrauchen.«
»Ist besser, dass du’s nicht hast.«
»Wieso?« Lilly kicherte, zog gemütlich die Knie an und stemmte sie gegen den Vordersitz. »Bekäme ich dann zufällig raus, mit welchen Tussis du in der Zwischenzeit heiße Affären hattest?«
»Quatsch«, rief Sven ungehalten. Er stand auf, als wollte er sich einen anderen Platz suchen, überlegte es sich aber anders, setzte sich wieder und legte ihr den Arm um die Schultern. »Hab keine Affären. Das Handy war ’n Scheißteil, deshalb.«
»Tja«, machte Lilly gut gelaunt, »shit happens.«
Sven lachte auch. »Das kannst du laut sagen.« Dann zog er sie etwas näher an sich heran, seufzte ganz komisch, grübelte einen Moment und sagte dann: »Du kennst mich doch gut, Lilly, ne?«
»Hmm.«
»Jetzt mal ganz unter uns« − er senkte die Stimme − »kannst du dir vorstellen, dass ich Schiss krieg, dass ich mir in die Hosen mache?«
»Hä?«
»Eben, das kannst du dir nicht vorstellen.« Sven verschränkte die Arme vor der Brust. Er roch nach Schweiß, Zigarettenqualm und Bier, aber Lilly störte das nicht. So roch Sven eben.
Lilly glaubte plötzlich, dass er gleich auf die Sache von gestern zu sprechen käme. Dann würde sie endlich erfahren, was es mit dem mysteriösen Fremden auf sich hatte, mit dem sie angeblich aneinandergeraten waren. Offenbarwar das ein Kerl, vor dem man sich in Acht nehmen musste. Vielleicht so ein Glatzengorilla, der ein paar Gleichgesinnte in der Nähe gehabt hatte. Einer, den sie unterschätzt hatten. Zwar hatte er wohl von ihnen eines auf die Nase bekommen, aber danach vielleicht eine Truppe mobilisiert, die mit Baseballschlägern hinter ihnen hergerannt war. So was in der Art musste passiert sein. Tatjana hatte genau wie Paul bisher nichts darüber rausgelassen, obwohl sie doch sonst immer alles, aber auch wirklich alles breittrat, und Leon hatte behauptet,
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