Die Angst der Boesen
ging.
Ilkay biss sich auf die Lippe. »Wenn doch, wären wir ganz schön am Arsch.«
»Wovon redet ihr hier eigentlich?«, fragte Levent.
»Um einen Typen, mit dem wir auf der Abschlussfahrt Krach hatten«, erklärte Tatjana mit gedämpfter Stimme. »Der ist uns quergekommen und hat was eingesteckt.« Sie wandte sich an Ilkay: »Meinst du, dass uns jemand deshalb fertigmachen will?«
Er zuckte die Achseln. »Kann doch sein, dass sein Bruder, sein Freund, sein Cousin oder sonst wer Rache will. Ich hab nämlich gestern einen merkwürdigen Anruf gekriegt, wahrscheinlich von dem Mann, der den Penner auch auf der Abschlussfahrt angerufen hat.«
»Ey«, fragte Levent, »die Abschlussfahrt ? Wisst ihr, wie lange das her ist? Drei Wochen. Außerdem war das in Bremerhaven. Soll euch extra von da einer nachgefahren sein oder was?«
»Kann ich mir auch nicht vorstellen«, überlegte Lilly laut. »War das denn wirklich so schlimm, was ihr gemacht habt? Paul war doch auch dabei. Ja, er war voll Blut, aber ...« Sie runzelte die Stirn.
Levent unterbrach sie: »Egal, was es war: Kann doch keiner wissen, wie ihr heißt und wo ihr wohnt. Wie sollen die Freunde von dem denn an deine Telefonnummer kommen, Ilkay?«
Ilkay murmelte kaum verständlich, dass Sven ihn mit dem Pennerhandy angerufen habe, aber niemand hörte ihm zu.
»Obwohl«, redete Lilly laut weiter, »es ist schon komisch,dass ihr alle erst ein Staatsgeheimnis aus dieser Sache gemacht habt und jetzt immer wieder davon anfangt.«
»Was ist daran komisch?«, blaffte Tatjana sie an. »Für Sven mag das Zusammenschlagen wildfremder Leute Alltag gewesen sein, für uns andere nicht.«
Ilkay nickte zustimmend, wobei er mit angestrengtem Gesichtsausdruck auf seine Hände sah.
Leon dachte, dass sich seine Mitschüler und auch er selbst an jenem Abend viel zu schnell von Sven hatten mitreißen lassen. Obwohl er sich sagte, dass das bei ihm am Alkohol gelegen hatte, behagte ihm der Gedanke nicht.
»Svens Tod hat nichts mit uns zu tun«, redete Tatjana weiter. »Überlegt doch mal, was das für ein Zufall wäre! Für Sven war das mit dem Penner nur eine Sache unter vielen.«
»Sie hat recht. Ich will nicht wissen, wem Sven alles zu einem Krankenschein verholfen hat. Der S-Bahn-Schubser kann zum Beispiel jemand gewesen sein, den er aus dem Stadion kannte, oder einfach nur so ’n Typ, der auch auf die Bahn wartete und im Weg rumstand. Ihr wisst doch, wie schnell das bei Sven ging. Da musste einer ihn nur mal blöd angucken. Oder aber: Wenn sich einer an Sven fürs Abziehen und so rächen wollte, kann der gut aus der Schule gewesen sein. So ein Typ wie Paul, also einer, den wir kennen, einer von hier «, sagte Levent entschieden und legte seinem Freund Ilkay einen Arm um die Schulter. »Was ist los mit dir, Alter? Bleib locker! Und du, Lilly, reg dich nicht auf wegen deiner Lieblingsschwuchtel! Sag mal, stimmt das eigentlich, Lilly, dass man Svens Schuh noch mit dem Fuß drin oben auf dem Dach vom Haltestellenhäuschen gefunden hat?«
»Wer hat das denn erzählt?«
»Das ist ja eklig«, schrie Tatjana so laut, dass der ältereCafébesitzer, der schon ein paarmal verärgert rübergeguckt hatte, rief, sie sollten ruhig sein, sonst flögen sie raus.
»Opa, halt du lieber mal die Klappe«, erwiderte Levent. »Das ist hier ’ne Trauerfeier, ja?! Bisschen mehr Respekt, wenn wir trauern.« Mit dramatischer Geste drehte er sich zu seinen Freunden um: »Und sein Zeigefinger soll unterm Scheibenwischer von der Lok geklemmt haben.«
Leon lachte laut los. Er war Levent dankbar, dass er mit seinem albernen Gerede die trüben Gedanken verscheuchte. Allerdings war er der Einzige, der das so sah. Lilly und Tatjana rauschten mit entsetzten Gesichtern ab. Ilkay murmelte düster: »Ich hoffe, ihr habt recht.«
Aber er und Levent machten einfach weiter.
»Und wo hat man seinen Schwanz gefunden?«, fragte Leon und Levent, der Lillys Kaffee austrinken wollte, prustete derart überdreht los, dass er sich verschluckte und Leon ihm auf den Rücken schlagen musste.
Jetzt wurde der Cafébesitzer wirklich wütend und sie gingen hinaus, Freunde, die Arme auf die Schultern des jeweils anderen gelegt.
Das Leben war schön und es gab absolut keinen Grund, sich Sorgen zu machen.
33
Lilly sah auf die Uhr. Rund zehn Minuten vor der Verabredung mit Jan-Olli würde ihr Bus an der Beach Bar halten. Das angesagte Café lag eine halbe Stunde Busfahrzeit von der Schule entfernt unterhalb einer Brücke
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