Die Angst der Boesen
’n Ausdruck?«
»Wusstest du nicht, dass auf den Trauminseln mehr Leute von herabfallenden Kokosnüssen erschlagen als von Haien gefressen werden?«
Er drehte sich ihr endlich zu – Sternschnuppenschmunzeln. Ihre Augen aber waren voller Tränen. Es kam ihr vor, als hätte sie gerade eine ganze Ladung Kokosnüsse auf den Kopf gekriegt.
»Ach, Lilly, ich hab dich so gern und ich ... ich hab mich ja auch in dich verliebt. Aber ... es geht eben nicht. Ich habe mich gestern Abend mitreißen lassen, das war dumm und unfair dir gegenüber, aber ich kann, will und werde nichts mit einem Mädchen aus der Mannschaft anfangen. Das geht nicht.«
»Warum denn nicht? Dann bleibt es eben geheim.«
Er schüttelte den Kopf. »So was bleibt nie geheim.«
»Das ist doch scheiße.« Sie stand auf, trat mit ihrem Fuß gegen seinen, griff nach seiner Hand, die ganz schlaff war und aus ihrer gleich wieder herausrutschte. Ein klares Zeichen dafür, dass es ihm ernst war. Sofort fühlte sich ihr ganzer Bauch eiskalt an, schockgefroren oder so, als hätte man sie innen mit eiskaltem, ätzendem Säurewasser ausgespült. Wie unglaublich gemein von ihm!
»Bitte, das ist doch Unsinn, was du redest. Wir machen doch nichts Schlimmes.«
Jan-Ollis Augen schimmerten ein bisschen feucht. Er drehte den Kopf zur Seite, wollte nicht, dass sie es sah. Also kniete sie sich neben ihn in den Sand, mit dem Erfolg, dass er sich zur anderen Seite drehte.
Was für ein beschissener Tag, dachte Lilly. Und der ätzende Stadtstreicher treibt sich auch noch dahinten rum, hat wahrscheinlich schon wieder die Hand in der Hose, weil er mir, wenn ich so auf allen vieren im Sand knie, in den Ausschnitt glotzen kann.
Sie stand auf. Jan-Oliver ebenfalls.
Den Kaffee völlig unberührt lassend nahm er ihre Hand. Sie machte einen letzten Versuch, wollte ihm ihren Kuss einfach ins Gesicht drücken, aber er wich nach hinten aus, ließ sie in der Luft hängen und sagte entschlossen: »Tut mir leid. Es wird nichts mit uns. – Äh, kann ich dir wenigstens den Cappuccino bezahlen und dich nach Hause bringen?«
»Ich will nicht nach Hause. Was soll ich da?«
»Es tut mir leid, Lilly, ich ...«
»Laber nicht! Du lügst doch.«
Sie hatte jetzt definitiv genug von ihm. Er sollte nicht sehen, wie sehr sie das verletzt hatte, also ließ sie ihn stehen, lief davon, rannte den Uferweg wieder rauf, sah den Bus in Richtung Zentrum kommen, winkte ihm, sprang hinein, als er hielt, und blickte heulend aus dem Fenster zurück.
Jan-Olli war ihr nicht gefolgt. Er saß noch zusammengesunken neben seinen zwei Tassen Cappuccino. Der Stadtstreicher aber stand an der Haltestelle wie einer, dem nicht nur der Bus weggefahren, sondern auch die Beute vor der Nase entwischt ist.
34
Paul mochte keinen Sekt mehr. Das Zeug machte müde und schmeckte abgestanden. Andererseits konnte er verstehen, dass seine Mutter sich nach dem Besuch der Polizei gerade eben »die Kante geben« wollte. Im Klartext hieß das, dass sie schon nach drei Gläschen Sekt so betrunken war wie Leon nach einer ganzen Flatrate-Party.
»Weißt du, was mich am meisten ärgert? Dass sie sich gleich auf dich gestürzt haben, weil du dich zu deiner Homosexualität bekannt hast. Wenn ich gestern Abend nicht zu Hause gewesen wäre und du kein Alibi gehabt hättest ... dann hätten sie uns zwar noch gar nichts gekonnt, aber die Gerüchteküche, die hör ich schon brodeln.« Sie lief im Wohnzimmer auf und ab und fuhr sich durch die Haare. »Da sieht man mal wieder, was hier für eine Diskriminierung herrscht.«
»Mama, reg dich nicht so auf. Die anderen kommen genauso dran.«
Paul hatte die Befragung besser verkraftet als sie. Er hatte sich nicht unfreundlich behandelt oder verdächtigt gefühlt, aber für seine Mutter waren es heute, angefangen mit Svens Tod, einfach zu viele Neuigkeiten gewesen.
»Ach ja? Unterstellt man denen auch, dass sie ein Motiv haben? Wie sieht das aus, wenn wir in den Fokus der Ermittlungen geraten? Da macht keiner einen Unterschied zwischen bloßem Verdacht und wahrer Schuld. So was bleibt immer an einem kleben.«
»So weit ist es ja noch nicht, Mama.«
»Noch nicht. Und der Neue hat sofort gelauscht, hast du das mitgekriegt?« Seine Mutter senkte die Stimme, obwohl sie selbstverständlich allein im Wohnzimmer waren.
»Welcher Neue?«
»Martin Nolte.«
Paul verdrehte die Augen.
»Was denn? Es war aber so.« Sie flüsterte immer noch. »Wir standen doch zuerst mit den Polizisten im Hausflur
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