Die Angst der Woche
gesponsertes medizinisches Erziehungsprogramm klärt die Australier über das sogenannte Reizdarmsyndrom auf. Das äuÃert sich durch Krämpfe im Bauch, Völlegefühl oder Probleme beim Stuhlgang und verschwindet meist nach einiger Zeit von selbst (bzw. wenn man dem Patienten ein Placebo gibt).
Aber wozu ein Placebo, wenn man auch richtige Arzneimittel verkaufen kann?
Den seit Langem gröÃten kommerziellen Erfolg mit dieser Angstmacherstrategie hatten die Pharmakonzerne GlaxoSmithKline, Novartis und Roche im Herbst 2009 mit ihrem Anti-Schweinegrippe-Impfstoff, den sie in groÃen Mengen in Europa und Amerika verkauften. Die an der Schweinegrippepanik entscheidend mitbeteiligte Weltgesundheitsorganisation weist zwar alle Vorwürfe zurück, die Pharmaindustrie hätte dabei ihre Hand im Spiel gehabt, aber der Leiter des Gesundheitsausschusses der Parlamentsversammlung im Europarat, der deutsche SPD-Abgeordnete Wolfgang Wodarg, glaubt nicht so recht daran: »Die Firmen warteten praktisch nur auf dieses Geschäft.«
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Und dann gibt es natürlich immer wieder auch andere Personen oder Firmen abseits der Ãrzte und der Pharmaindustrie, die auf einer Panikflamme ihre höchst privaten Süppchen kochen und ein groÃes monetäres Interesse daran haben, dass diese Panikflamme nicht erlischt. So etwa die Asbestsanierer. Vor allem in den 90er-Jahren haben die sich mit völlig überzogenen AntiasbestmaÃnahmen mehr als nur eine goldene Nase verdient.
Der Eingreifwert für eine Asbestsanierung ist eine Belastung von 1000 Fasern pro Kubikmeter Luft (zum Vergleich: die sogenannte MAK-Liste hält eine Belastung von 250 000 Fasern pro Kubikmeter Luft für ungefährlich). Wenn wir einem Menschen, der dieser Belastung ein Jahrzehnt lang unterliegt, ein Risiko von 1 zuordnen, dann hätte Tod durch Blitzschlag den Risikowert 3, ein tödlicher Fahrradunfall 75, ein ebensolcher FuÃgängerunfall 290, ein Flugzeugabsturz 730 und der Tod durch Lungenkrebs 8800. Das Krebsrisiko von Kindern, deren Eltern rauchen, ist durch Passivrauchen etwa hundertmal höher als die Krebsgefahr durch Asbest in einem Schulgebäude. Die durch die Medien ausgelöste Asbestpanik war eine der unsinnigsten Geldvernichtungsaktionen der Nachkriegsgeschichte in Deutschland, aber auch in anderen reichen Industrienationen, und die einzigen, denen die Asbestsanierung wirklich geholfen hat, waren die Asbestsanierer selbst.
Die Zeitschrift Science hat für die USA errechnet, dass dort höchstens ein Mensch von zehn Millionen jährlich durch erhöhte Asbestbelastung in den Schulen stirbt. Dagegen kommen unter zehn Millionen Schülern mehr als 300 jährlich als FuÃgänger durch Verkehrsunfälle um. Science schlieÃt daraus, dass die durch die Asbestsanierung der Schulgebäude erzwungenen Zwangsferien weit mehr Schülern das Leben gekostet haben, als durch Asbest auch unter schlimmsten Annahmen jemals zu befürchten gewesen wäre.
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Literatur:
Jörg Blech: Die Krankheitserfinder. Wie wir zu Patienten gemacht werden, Frankfurt a. M. 2004 (Fischer)
S. Campbell und G. Currie: »Against Beck: In defence of risk analysis«, Philosophy of Social Sciences 36, 2006, S. 149 â 172
Herbert Cerutti: »Ausgehaucht«, NZZ Folio 9/1998
Diehl, J. F. (2003): »Von Delaney zu de minimis â die Illusion des Nullrisikos«, Deutsche Lebensmittel-Rundschau 99, S. 359 â 365
Deutsche Forschungsgemeinschaft, Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe: MAK- und BAT-Werte-Liste: maximale Arbeitsplatzkonzentrationen und biologische Arbeitsstofftoleranzwerte , Weinheim 1992 (Wiley-
VCH)
Hilmar Drygas: »Statistical analysis of Diabetes mellitus«, Discussiones Mathematicae, Probability and Statistics 29 (2009), S. 69 â 90
European Food Safety Authority (EFSA): »Uranium in foodstuffs, in particular mineral water«, The EFSA-Journal 1018 (2009), S. 1 â 59
Greenpeace: Die unsicheren Pestizidhöchstmengen der EU, Bericht von 2008
D. Maxeiner und M. Miersch: Lexikon der Ãko-Irrtümer , 4. Auflage, Frankfurt 1998 (Eichborn)
R. Moynihan und D. Henry: Selling Sickness: How the Worldâs Biggest Pharmaceutical Companies Are Turning Us All into Patients, New York 2005 (Nation Books)
Risikokommission: Abschlussbericht ,
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