Die Angst der Woche
einmal mit einem Lebensmittelchemiker über die so erzeugte Gefahr gesprochen â er meinte, um hier eine Wirkung zu erzielen, müsste das Kind die Jacke essen.
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Neben unseren selbst ernannten Umweltschützern gibt es noch weitere starke Kräfte, die hart daran arbeiten, gewisse Grenzwerte möglichst klein zu halten und damit Angst und vielfach sogar Panik zu erzeugen. Das sind die Ãrzte und die Pharmaindustrie. So hat etwa die Weltgesundheitsorganisation im Jahr 2009 entschieden, dass Blutdruckwerte höher als 140/90 als Indikator einer Krankheit und damit als behandlungsbedürftig einzustufen sind. Es sollte mich sehr wundern, wären nicht auch Vertreter der Pharmaindustrie an dieser Entscheidung beteiligt gewesen. Allein mit seinem Blutdrucksenker Diovan machte der Schweizer Pharmakonzern Novartis im Jahr 2010 einen Umsatz von mehr als fünf Milliarden Euro. Bei Grenzwerten von 145/95 wäre dieser Umsatz vielleicht nur halb so groà gewesen. Und in der Tat galt früher für den oberen Wert die Faustregel 100 + Lebensalter, das heiÃt ich selbst beispielsweise hätte mit meinem aktuellen oberen Blutdruckwert nicht das geringste Problem.
Auf der anderen Seite lese ich aber schon von Bestrebungen, den unteren behandlungsbedürftigen Grenzwert auf 85 abzusenken. Das wird die Kassen bei Novartis noch gewaltiger zum Klingeln bringen und aus den aktuell geschätzten 30 Millionen Bluthochdruckpatienten in Deutschland vielleicht 40 Millionen machen.
In Deutschland sind die Deutsche Hochdruckliga und die Bundesvereinigung der deutschen Apothekerverbände für die Festlegung der Grenzwerte zuständig. In gemeinsamen Verhandlungen hat man sich vorerst der Weltgesundheitsorganisation angeschlossen. Wer aber schützt uns davor, dass die beiden Interessengruppen eines Tages beschlieÃen, dass 2 + 2 dann doch besser 5 ergibt, und so mit einem Federstrich ihre Klientel vergröÃern?
Die gleichen monetären Interessen erkenne ich auch bei der Diagnose der Zuckerkrankheit. Derzeit soll es in Deutschland zwischen fünf und 15 Millionen Diabeteskranke geben, je nachdem, wo man die Grenze zieht. Dabei gilt ein Diabetes mellitus als gesichert, wenn der Glukosegehalt im Blut einen Wert von 200 mg/dl übersteigt. Aber warum nicht 180 oder 220? Auch hier nimmt das Heer der Behandlungsbedürftigen mit jedem Anheben der Schwelle ab und mit jedem Absenken der Schwelle zu. In den USA etwa gilt man schon ab 125 mg/dl als zuckerkrank.
Der Kasseler Statistikprofessor Hilmar Drygas, selbst an Diabetes leidend, hält das alles gleichermaÃen für Unfug und geht sogar so weit, diese Dysfunktion als Rechenaufgabe und nicht als eine Krankheit zu bezeichnen: Wenn man nur das Richtige und zu den richtigen Zeiten esse, so Drygas, könnte man â horribile dictu â auf die Wohltaten der Pharmaindustrie komplett verzichten.
Dann wieder gibt es Ãrzte, die ängstigen uns wegen zu viel Cholesterin im Blut. Das gilt inzwischen als Risikofaktor Nr. 1 für Arterienverkalkung und Herz-Kreislauf-Erkrankungen aller Art. Die Deutsche Lipid-Liga, an der auch die Pharmaindustrie beteiligt ist, propagiert hier einen Grenzwert von 250 mg/dl. Aber auch hier kann man natürlich fragen: Warum nicht 230 oder 270? Und auch hier erhält man dieselbe Antwort: Weil bei 270 die Ãrzte und die Pharmaindustrie weniger verdienen. Daher wage ich schon jetzt die Prognose, dass wir in einigen Jahren einen Grenzwert von 230 haben werden.
In den USA ist man bereits so weit; hier gilt ein Cholesteringehalt über 200 mg/dl als grenzwertig (»borderline high«), ab 230 und ganz sicher ab 240 ist man krank.
In der angelsächsischen Literatur wird diese Krankmacherei unter dem Namen »disease mongering« diskutiert. Das australischen Autorenduo Ray Moynihan (Journalist) und David Henry (Arzt) hat diesem Thema ein ganzes Buch gewidmet. Unter anderem schildern sie darin, wie aus trauernden Witwen Opfer von Depressionen und aus schüchternen Menschen Sozialophobe werden, oder wie der amerikanische Pharmariese Merck, der gerade ein Haarwuchsmittel erfunden hatte, hart daran arbeitete, Haarverlust bei Männern als Krankheit durchzusetzen. Damit hätte man allein in Deutschland 20 Millionen Patienten mehr. Ein weiteres Beispiel: Ein anscheinend wohlgemeintes, in Wahrheit aber von einem Arzneimittelkonzern
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