Die Angst der Woche
Panikmacher wie Hans-Ulrich Grimm in seinem Buch Echt künstlich (das in jedem anderen Land der Welt ein Ladenhüter wäre) leichtes Spiel. Das Buch beginnt mit einem Beinahe-Todesfall:
»Joghurt ist ja gesund, mit gemischten Früchten erst recht. Doch die junge Frau aus dem französischen Nancy hätte den Genuss fast mit dem Leben bezahlt. Kaum hatte sie ein paar Löffel gegessen, breiteten sich kleine, rote Flecken über ihrem Körper aus, dann bekam sie kaum noch Luft, sie erstickte fast, schlieÃlich schwollen ihr die Augenlider zu. Sie wurde sofort ins Zentralkrankenhaus eingeliefert, wo die Ãrzte umgehend mit lebensrettenden SofortmaÃnahmen begannen. Sie überlebte, dank der schnellen Behandlung.
Die Ãrzte fahndeten nach den Gründen für den Anfall, und sie fanden die unscheinbare Ursache. Es war der Fruchtjoghurt, der die 35-jährige Sekretärin fast umgebracht hätte. Genauer: der Farbstoff im Fruchtjoghurt. Die Sekretärin hat, wenn man das so sagen möchte, noch Glück gehabt: Solche Schockreaktionen können auch tödlich enden. Und zwar binnen einer halben Stunde. Nur wenn die Betroffenen sofort eine Adrenalinspritze bekommen, notfalls durch die Kleidung hindurch, kann ihr Leben gerettet werden.«
Der Farbstoff war E120: Karminrot. Gegen diesen Farbstoff war die Frau allergisch. Meine Frau ist auch allergisch, gegen Haselnüsse. Ich bin auch allergisch, gegen Birkenpollen. Und in seiner nächsten Horrorgeschichte entlarvt sich Grimm tatsächlich selbst. Es geht um David Reading, den Gründer der Aufklärungsbewegung »Anaphylaxis campaign«.
»Seine Tochter Sara war, 17-jährig, im Oktober 1993 im Städtchen Ash bei London gestorben. Sie hatte in einem Schnellrestaurant eine britische SüÃspeise ⦠gegessen, ein Fertigdessert, das winzige Spuren von Erdnüssen enthielt. Sie wurden der jungen Frau zum Verhängnis. Sie waren, wie in Restaurants üblich, nicht deklariert und daher für das Mädchen nicht zu erkennen gewesen.«
Erdnüsse werden aber nicht von der Firma BASF, sondern von der Mutter Natur gemacht. Und auch viele der von Grimm kritisierten Zusatzstoffe sind Naturprodukte. Der wohl bekannteste von allen ist E300: L-Ascorbinsäure, besser bekannt als Vitamin C. Ohne diesen Zusatzstoff wären die Herren Grimm und Reading lange tot. Und die Zusatzstoffe E174 und E175 sind sogar so begehrt, dass darüber Kriege ausgefochten werden. E174 ist Silber, E175 ist Gold, sie werden zur Verzierung von Konfekt, Pralinen und Dragees benutzt. Ein italienischer Sterne-Koch soll Gold sogar zum Bestreuen seines preisgekrönten Risottos verwendet haben, »wo es neben einer vornehmen Färbung einen dezent metallischen Geschmack erzeugt«.
Der Farbstoff aus dem Fruchtjoghurt, der beinahe die französische Sekretärin getötet hätte, war ebenfalls natürlich: E120 (Karmin), auch als Cochenille bekannt. Der Stoff färbt SüÃigkeiten, Eiscremes und Fruchtsäfte und meinen Lieblingsaperitif Campari in roter Farbe ein (jetzt weià ich auch, warum manche Menschen Campari-Allergien haben). Und deshalb, weil eben viele Zusatzstoffe auch in der Natur vorkommen, enthalten auch von Menschen unbehandelte Lebensmittel E-Stoffe aller Art, so zum Beispiel die besten Bio-Ãpfel auch E296 (Apfelsäure), E420 (Sorbit) und E330 (Zitronensäure).
Und das nicht ohne Grund. Zusatzstoffe schützen Lebensmittel vor Bakterien und chemischen Veränderungen, machen sie haltbarer und lassen sie auch besser schmecken â wer sieben Milliarden Menschen ernähren will, sollte sich über jede Hilfe freuen. Sie werden in Deutschland â sofern künstlich â mehr als gründlich reguliert und kontrolliert, vor der Zulassung wird jeder penibel auf gesundheitliche Nebenwirkungen aller Art überprüft, die Zusatzstoffzulassungsverordnung vom 5. Februar 1998 ist hier mehr als strikt. Weitere Regulierungen finden sich auch in der sogenannten Aromenverordnung oder im Weinrecht; wenn also irgendein Bestandteil unseres Essens auf Herz und Nieren auf gesundheitliche Unbedenklichkeit getestet ist, dann sind es die Zusatzstoffe.
Aber seit wann hält gesundheitliche Unbedenklichkeit die Panikmacher vom Panikmachen ab? Grimm zum Beispiel meint: »Weil sie [die Zusatzstoffe] massenhaft verzehrt werden, können auch völlig natürliche Stoffe plötzlich zum
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