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Die Angst der Woche

Die Angst der Woche

Titel: Die Angst der Woche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Krämer
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Gesundheitsrisiko werden.« Auch kritisiert er, dass individuell völlig ungefährliche Stoffe gemeinsam plötzlich giftig werden könnten. Dafür gibt es zwar keinerlei Indizien, aber mit dem immer wieder verwendbaren Konjunktivtrick (könnte, könnte, könnte) ist die Wirkung trotzdem garantiert. Und dass Zusatzstoffe, massenhaft verzehrt, der Gesundheit schaden, ist auch keine große Neuigkeit. Wenn ich drei Pfund makellose Markenbutter esse, bin ich genauso krank.
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    Einen Stoff habe ich bisher ausgespart, der heißt Dioxin. Das ist ein Sammelbegriff für eine ganze Klasse von chemischen Substanzen, die je nach Ausgestaltung tatsächlich mehr oder weniger giftig sind. Die bekannteste und giftigste ist die Variante TCDD, die auch beim Seveso-Unfall freigesetzt wurde. Dergleichen Dioxine entstehen bei allen Arten von Verbrennungen, mal mehr, mal weniger, je nachdem, was gerade brennt. Aber ganz gleich was, immer entsteht Dioxin. Von den 75 bekannten Arten sind einige, wenn auch nicht alle, hochgiftig; schon in geringen Dosen können sie Krebs erzeugen. Und da ja die Panikindustrie generell nicht unbedingt darauf achtet, ob diese Dosis wirklich erreicht worden ist, sondern vor allem darauf, ob überhaupt Dioxin gefunden wurde, brach nach einem solchen Fund um Weihnachten 2010 in Deutschland die letzte einschlägige Panik aus.
    Die Inszenierung folgte den üblichen Regeln.
    Akt 1 (Vorspiel): Irgendwo, in diesem Fall auf einem westfälischen Bauernhof, werden bei Routinekontrollen »teilweise deutlich erhöhte Dioxinbelastungen festgestellt«, Frankfurter Rundschau vom 30.12.2010. Betroffen waren Schweinefleisch und Eier. Auch die Bedeutung von »deutlich erhöht« wird – zumindest für die Eier – angegeben: »Bei einer Eierprobe hätten die ermittelten Werte um das Vierfache über dem zulässigen Grenzwert gelegen.« Bei Fleisch ist schon von Grenzwerten nicht mehr die Rede, nur von Existenz, das deutet schon die Richtung an. »Die Behörden sperrten drei Ställe und weiteten die Kontrollen aus. Der Fall hat möglicherweise bundesweite Dimensionen.«
    Und ob! Denn jetzt kommt Akt 2 (Panik): Nach diesem vergleichsweise neutralen Auftakt, der so oder ähnlich in der gesamten deutschen Presse zu lesen war und auch in eine sachliche Diskussion des Ganzen hätte überleiten können, kommt es zu einer impliziten Übereinkunft der Medien, diesen Fall zu einem Hauptthema zu machen. Wäre etwa zeitgleich Queen Elizabeth gestorben oder im Berliner Zoo ein zweiköpfiger Pandabär geboren worden, hätte es die nun folgende Dioxinpanik so wohl nicht gegeben. Da aber republikweit immer nur ein Thema zugleich die Emotionen anzuheizen in der Lage ist, war es diesmal eben Dioxin.
    Ab Anfang Januar macht jede Zeitung, jede Nachrichtensendung in Rundfunk und Fernsehen tagelang mit diesem Thema auf, vor und hinter den Kameras und Mikrofonen prostituieren sich Betroffenheitskasper aller Art, die nicht mehr wissen, wo sie ihre Frühstückseier kaufen sollen, die forcierte Berichterstattung und das dadurch gereizte Publikum schaukeln sich zu einer wahren Hysterieorgie empor, Nordrhein-Westfalens Landesregierung beantragt eine Sondersitzung aller für den Verbraucherschutz zuständigen Landesminister, republikweit brechen alle Dämme der Vernunft. Bundeslandwirtschaftsministerin Aigner gerät in Turbulenzen, Opposition und Verbraucherschützer denken über ihren Rücktritt nach.
    Wenige Tage später sind mehrere Tausend Bauernhöfe in der Republik gesperrt, Hunderte von Existenzen zerstört, Dutzende gesunde Firmen in den Ruin getrieben. »Futter außerordentlich hoch belastet«, lese ich in meiner eigenen Tageszeitung am 5. Januar auf Seite 1: »Seit gestern dürfen mehr als 1000 Höfe in mehreren Bundesländern Eier, Milch und Fleisch erst wieder ausliefern, sobald sie auf eigene Kosten nachgewiesen haben, dass ihre Produkte unbedenklich sind.« Und drei Tage später, ebenfalls auf Seite 1: »Dioxinskandal trifft 3300 Schweinemäster im Land. Bereits 100 000 Eier vernichtet. Milchhöfe in der Region unter Verdacht.«
    Nur als kleine Zusatzinformation: In derselben Ausgabe derselben Zeitung, einige Seiten weiter hinten und viel kleiner, war Folgendes zu lesen: »Schweinegrippe fordert drittes Opfer. Innerhalb von nur drei Wochen ist in

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