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Die Angst des Tormanns beim Elfmeter

Die Angst des Tormanns beim Elfmeter

Titel: Die Angst des Tormanns beim Elfmeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Handke
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nicht gleich ein. Als er sie später, schon außerhalb des Ortes, in einen Briefkasten, der an einem Zaun angebracht war, stecken wollte, sah er, daß der Briefkasten erst morgen wieder geleert werden würde. Seit einer Tournee durch Südamerika, wo seine Mannschaft an jedem Ort Ansichtskarten mit den Unterschriften aller Spieler an die Zeitungen hatte schicken müssen, war Bloch gewohnt, wenn er unterwegs war, Karten zu schreiben.
    Eine Schulklasse kam vorbei; die Kinder sangen, und Bloch warf die Karten ein. Als sie in den leeren Kasten fielen, hallte es darin. Aber der Briefkasten war so klein, daß es gar nicht hallen konnte. Außerdem war Bloch sofort weitergegangen.
    Er ging eine Zeitlang querfeldein. Das Gefühl, als ob ihm ein regenschwerer Ball auf den Kopf falle, ließ nach. In der Nähe der Grenze fing der Wald an. Er kehrte um, als er den ersten Wachtturm auf der anderen Seite der Niemandslandschneise erkannte. Am Waldrand setzte er sich auf einen Baumstamm. Er stand gleich wieder auf. Dann setzte er sich wieder und zählte sein Geld. Er schaute auf. Die Landschaft, obwohl sie eben war, wölbte sich so nah an ihn heran, daß sie ihn zu verdrängen schien. Er war hier am Waldrand, dort war ein Transformatorhäuschen, dort war ein Milchstand, dort war ein Feld, dort waren ein paar Figuren, dort am Waldrand war er. Er saß so still, bis er sich selber nicht mehr auffiel. Später bemerkte er, daß die Figuren auf dem Feld Gendarmen mit Hunden waren.
    Neben einem Brombeergebüsch, halb schon unter den Brombeeren, fand Bloch dann ein Kinderfahrrad. Er stellte es auf. Der Sattel war ziemlich hoch geschraubt, wie für einen Erwachsenen. Im Reifen steckten einige Brombeerstacheln, ohne daß deshalb aber die Luft ausgegangen war. In den Speichen hatte sich ein Fichtenast so verfangen, daß er das Rad blockierte. Bloch riß an dem Ast. Dann ließ er das Rad fallen in der Meinung, die Gendarmen könnten von weitem in der Sonne die Reflexe der Scheinwerferkappe sehen. Die Gendarmen waren aber schon mit den Hunden weitergegangen.
    Bloch schaute den Figuren nach, die eine Böschung hinunterliefen; die Hundemarken und das Sprechfunkgerät blinkten. Ob das Blinken etwas mitteilen sollte? Waren es Blinkzeichen? Allmählich verlor es dann diese Bedeutung: weiter weg blitzten die Scheinwerferkappen der Autos auf, wenn die Straße die Richtung änderte, neben Bloch blitzten die Splitter eines Taschenspiegels, der Weg dann flimmerte von Glimmerstücken. Der Schotter rutschte unter den Reifen weg, als Bloch aufs Fahrrad stieg.
    Er fuhr eine kurze Strecke. Schließlich lehnte er das Rad an das Transformatorhäuschen und ging zu Fuß weiter.
    Er las das Kinoplakat, das mit Heftklammern am Milchstand befestigt war; die anderen Plakate darunter waren abgefetzt. Bloch ging weiter undsah im Hof eines Bauernhauses einen Burschen stehen, der Schluckauf hatte. In einem Obstgarten sah er Wespen umherfliegen. An einem Wegkreuz standen verfaulte Blumen in Konservendosen. Im Gras neben der Straße lagen leere Zigarettenschachteln. Neben den geschlossenen Fenstern sah er Fensterhaken von den Fensterläden hängen. Als er an einem offenen Fenster vorbeiging, roch er Verwestes. Im Wirtshaus sagte ihm die Pächterin, daß im Haus gegenüber gestern jemand gestorben sei.
    Als Bloch zu ihr in die Küche gehen wollte, kam sie ihm in der Tür entgegen und ging vor ihm her in die Wirtsstube. Bloch überholte sie und ging auf einen Tisch in der Ecke zu, aber sie hatte sich schon an einen Tisch in der Nähe der Tür gesetzt. Als Bloch zu reden anfangen wollte, war sie ihm gleich zuvorgekommen. Er wollte sie darauf aufmerksam machen, daß die Kellnerin Gesundheitsschuhe trug, aber die Pächterin zeigte schon hinaus auf die Straße, wo ein Gendarm vorbeiging, der ein Kinderfahrrad schob. »Das ist das Fahrrad des stummen Schülers!« sagte sie.
    Die Kellnerin war mit der Illustrierten in der Hand dazugekommen; gemeinsam schauten sie hinaus. Bloch fragte, ob der Brunnenmacher sich wieder gemeldet habe. Die Pächterin, die nur dasWort »zurückgemeldet« verstanden hatte, fing an, von Soldaten zu reden. Bloch sagte statt dessen »zurückgekommen«, und die Pächterin redete von dem stummen Schüler. »Nicht einmal um Hilfe konnte er rufen!« sagte die Kellnerin, vielmehr, sie las eine Bildunterschrift aus der Illustrierten vor. Die Pächterin erzählte von einem Film, in dem Schuhnägel in den Kuchenteig verrührt worden seien. Bloch fragte, ob die Posten

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