Die Angst des wei�en Mannes
spärlich bekleidetes Taxi-Girl zu gewiesen.Ich lud sie zum Drink ein und erwartete das übliche Geplapper. Aber als ich mein Abenteuer auf Basilan bei den Moros kurz erwähnte, wurde sie ernst. Sie betonte – trotz ihres sündhaften Berufs – ihre katholische Frömmigkeit und fragte mich unvermittelt: »Glaubst du an Gott?« Nach einer Pause fügte sie hinzu: »Weißt du, daß man in diesem Land ohne Glauben an Gott nicht leben kann?« So wie das philippinische Taxi-Girl Sunny – so nannte man sie in der New Vinta –, so hätte sich Jean-Paul Sartre seine putain respectueuse – seine »ehrbare Dirne« – gewiß nicht vorgestellt.
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Am folgenden Morgen traten wir den Rückflug nach Manila an. Am Airport empfing uns der philippinische Fahrer Ben und nahm mich gleich beiseite. Ben war lächerlich klein gewachsen, doch die breite Messernarbe in seinem wilden malaiischen Gesicht gab ihm etwas Verwegenes. Wir hatten Ben im Verdacht, der wohlorganisierten Unterwelt von Manila anzugehören, was mein Vertrauen in ihn nicht minderte. Ben hatte – während er auf uns wartete – die Nach richten gehört. »Seit gestern haben die Nordvietnamesen eine Großoffensive gestartet«, sagte er. »Sie sollen die südvietnamesi schen Linien schon durchbrochen haben.«
Tatsächlich hatte General Giap wieder einmal überraschend zu geschlagen und genau an der Stelle angegriffen, wo niemand damit rechnete, an der schmalen Demarkationslinie längs des zehnten Breitengrades. Die Südvietnamesen, die den Bodenkampf allein führen mußten, seit die amerikanische Militärpräsenz durch Präsi dent Johnson auf 50 000 GIs reduziert worden war, hatten in die sem vernachlässigten Sektor ihre schlechteste, die Dritte Infante riedivision, stationiert.
Als die Sturmtruppen Hanois sich nach vernichtender Artillerievorbereitung plötzlich mit Rudeln sowjetischer Panzer vom Typ T52 und T54 auf die Stellungen der Südisten stürzten, gab es kein Halten mehr. Die US Air Force war durch die niedrige Wolkende ckein ihrer Bodenintervention gehemmt. Die amerikanischen Advisors ließen sich mit Hubschraubern aus den umzingelten Stützpunkten der McNamara-Linie rund um Dong Ha und Cam Lo ausfliegen, was die Moral der Saigoner Truppe vollends untergrub. Schon hieß es, die Provinzhauptstadt Quang Tri sei gefallen.
Zum gleichen Zeitpunkt war eine andere nordvietnamesische Panzerkolonne aus dem kambodschanischen Grenzraum nördlich von Saigon längs der Straße 13 nach Süden vorgeprescht und hatte das Distriktstädtchen Loc Ninh im Handstreich erobert. Bei An Loc hingegen waren die im Bewegungskrieg ungeübten Nordviet namesen, die ihre Panzer ohne ausreichenden infanteristischen Schutz nach vorn geworfen hatten, jedoch auf die entschlossene Abwehr südvietnamesischer Fallschirmjäger und deren panzerbre chende Waffen geprallt. Zwanzig Kilometer südlich von An Loc kam der Angriff zum Stehen.
Auch am 17. Breitengrad brach die hoffnungsvoll gestartete Of fensive kurz danach im apokalyptischen Bombenhagel der ameri kanischen Luftwaffe zusammen. Von nun an wußte jeder, der hö ren und sehen konnte, daß für Saigon die Stunde geschlagen hatte.
Preisgabe durch den »großen Bruder «
Warum erwähne ich überhaupt die gescheiterte Aktion der Erben Ho Tschi Minhs im Zusammenhang mit dieser philippinischen Retrospektive? Hier läßt sich eine gewisse Parallele ziehen zu der Situation im Irak, wie sie sich heute präsentiert. Nach dem Debakel der USA, das im Frühjahr 1975 mit der schmählichen Flucht der letzten amerikanischen Elemente vor den in Saigon vorrückenden Panzern Hanois endete, hatten die USA zwar einen schmerzlichen Prestigeverlust erlitten und sahen sich internen Turbulenzen mit einer Masse von Kriegsgegnern ausgesetzt. Global betrachtet war die geostrategische Lage der Vereinigten Staaten jedoch nicht tan giert.Ihr militärisches Übergewicht auch im ostasiatisch-pazifischen Raum war keineswegs gebrochen. Die Domino-Theorie, die drohende Ausweitung des Kommunismus in ganz Südasien, die Kennedys Intervention in Vietnam motiviert hatte, erwies sich als Trugschluß.
Und dennoch drängt sich eine gewisse Ähnlichkeit zu der Ent wicklung auf, der sich die US Army sowohl in Mesopotamien als auch am Hindukusch ausgesetzt sieht. Im Jahr 1972 waren nämlich die Waffenstillstandsverhandlungen zwischen Henry Kissinger, dem Außenminister Präsident Nixons, und dem nordvietnamesi schen Bevollmächtigten Le Duc Tho in Paris längst in Gang ge kommen.
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