Die Angst des wei�en Mannes
Der Secretary of State hatte nach endlosem Tauziehen dem kommunistischen Politbüro von Hanoi bereits zugestanden, daß keine amerikanischen Bodentruppen mehr dem antikommu nistischen Regime von Saigon unter General Nguyen Van Thieu zur Seite stehen würden. Die südvietnamesische Armee, die weit über eine halbe Million Soldaten aufgeboten und ebenso viele be waffnete Milizen rekrutiert hatte, war auf sich selbst gestellt.
Was die Franzosen einst le jaunissement, die »Gelbfärbung« ihres kriegerischen Engagements in Indochina genannt hatten, wieder holte sich bei den Amerikanern nach dem Schock der Tet-Offen sive des Vietcong zu Beginn des Jahres 1968. Diverse Divisionen dieser Südarmee erwiesen sich aufgrund der zutiefst antikommu nistischen Haltung ihrer Offiziere weit zuverlässiger und schlag kräftiger als die proamerikanischen Armee- und Polizeikräfte, die Washington in der derzeitigen Rückzugsphase im Irak aufgestellt hat und die auch in Afghanistan die Verantwortung des Kampfes gegen die Taleban übernehmen sollen.
Die kalte Staatsraison, die Richard Nixon bewog, den verlustreichen Feldzug in Vietnam so bald wie möglich zu beenden, und die von Henry Kissinger genial praktiziert wurde, lief im Jahr 1973, also ein knappes Jahr nach der erwähnten Osteroffensive Hanois, auf einen Waffenstillstand hinaus. Er beraubte die Südvietnamesen der bislang unentbehrlichen Unterstützung durch die amerikanische Luftwaffe und ließ sogar zu, daß die regulären Streitkräfte Nord vietnams,die in Stärke von etwa 60 000 Mann bereits in die Republik von Saigon eingedrungen waren, sich nicht über den 17. Breitengrad zurückziehen mußten.
Das Armistice-Abkommen, das 1973 in Paris unterzeichnet wurde – das hätte damals jeder wissen müssen –, bedeutete die Preisgabe des verbündeten Präsidenten Nguyen Van Thieu in Saigon. Es kam dem Verrat an einem beachtlichen Teil der südvietnamesischen Be völkerung gleich, die auf den Schutz der allmächtigen USA gebaut hatte. Von nun an gab es keine klare militärische Front mehr süd lich der Demarkationslinie, sondern das sogenannte »Leoparden fell«.
Während Henry Kissinger mit dem Friedensnobelpreis ausge zeichnet wurde, den sein zäher Widerpart Le Duc Tho ablehnte, schoben sich die Vorauselemente der Nordarmee systematisch nach Süden vor. Die Kampfhandlungen flackerten nach Verweigerung jeden militärischen Beistandes für die Regierung von Saigon immer heftiger auf bis zur blitzartigen Großoffensive Hanois im März 1975, die auch die letzten Kämpfer, die wackeren, überwiegend ka tholischen Fallschirmjäger der Südarmee, hinwegfegte.
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Die Geschichte, so heißt es, wiederholt sich nicht. Das ist nur par tiell wahr. Die Zustände an Euphrat und Tigris oder am Hindu kusch sind in mancher Beziehung grundverschieden von den Kräf teverhältnissen, die in Vietnam vorherrschten. Vor allem das ideologische beziehungsweise religiöse Umfeld ist total anderer Natur.
Aber auch für den Irak hatte bereits der »War President« George
W. Bush das Signal zur progressiven Räumung Mesopotamiens durch die US Army gegeben. Umstritten waren lediglich die Termine. Seinem Nachfolger Barack Obama bleibt zur Stunde nichts anderes übrig, als den von ihm beschleunigten Abzug der amerikanischen Bodentruppen durch die forcierte Aufstellung einheimischer Divisionen aufzuwiegen, was bei der fortdauernden konfes sionellenVerfeindung zwischen Sunniten und Schiiten sowie bei der bereits vollzogenen De-facto-Abspaltung Irakisch-Kurdistans ein sehr fragwürdiges Unternehmen ist.
Der angestaute Haß, der historisch verwurzelte Argwohn zwi schen der bislang den Irak beherrschenden sunnitischen Minder heit und der »Schiat Ali«, der Gefolgschaft des Imam Hussein, die seit dessen Martyrium in Unterdrückung verharrt, dürfte sich nach dem Abzug der letzten GIs in einem mörderischen Bürgerkrieg aus toben. Daran dürfte der Verbleib von amerikanischen Ratgebern und Instrukteuren in der beachtlichen Stärke von 50 000 Mann nicht viel ändern.
Die Dreiteilung der irakischen Republik würde unvermeidlich, wenn nicht die beiden Schutzmächte – Amerika für die Sunniten und Kurden, die Islamische Republik Iran für ihre schiitischen Glaubensbrüder – einen tragfähigen Modus vivendi finden. In die ser Situation bleibt nur noch das Vertrauen in die wohlwollende Fü gung Allahs.
In mancher Beziehung öffnet sich – ich betone, daß die Nieder schrift dieser Zeilen im Frühjahr 2009
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