Die Angst des wei�en Mannes
Schlüsselstellung internationaler Seefahrt, im Golf von Aden, vom Bab-el-Mandeb bis zum Archipel der Komoren eine lächerliche Fischereiflotte so malischer Hungerleider mit ihren brüchigen Schlauchbooten al lein im Jahr 2008 annähernd hundert Handelsschiffe und Tanker attackiert und 35 von ihnen ohne nennenswerte Gegenwehr mit ein paar Kalaschnikows gekapert hätten. Inzwischen hat sich eine internationale Streitmacht ungewöhnlichen Ausmaßes, darunter auch zwei chinesische Fregatten, dort eingefunden, und eines Ta ges werde es dieser Koalition wohl gelingen, dem Spuk dieser pri mitiven Korsarenmannschaft ein Ende zu bereiten. Aber welcher Blamage habe der Westen sich dort ausgesetzt!
Am Beispiel der somalischen Freibeuter lasse sich ermessen, wel che Katastrophe über die US Navy hereinbrechen könnte, wenn das Pentagon sich zu einem Militärschlag gegen die Islamische Repu blik Iran aufraffen würde. Die perfektionierten, mit Sprengstoff ge füllten Schnellboote der Revolutionswächter, der Pasdaran, die nur darauf warten, als Märtyrer, als »Schuhada«, in die Gärten Allahs einzugehen, würden in der schmalen Fahrrinne von Hormuz die weitaus wichtigste Erdölversorgung des Westens zum Erliegen bringen, ganz zu schweigen von dem Raketenhagel, der über den Petroleumfeldern und Raffinerien Kuwaits, Saudi-Arabiens und der Emirate niedergehen würde. Ob es wirklich so weit kommen wird, wie es der amerikanische Kommentator Robert D. Kaplan be schreibt: »Zum ersten Mal seit dem Eindringen der Portugiesen in den Indischen Ozean im frühen sechzehnten Jahrhundert befindet sich hier die Macht des Westens in einem Zustand des Niedergangs. InZukunft werden die Inder und die Chinesen in diesen Gewässern ihre dynamische Großmacht-Rivalität austragen.«
Mein britischer Gefährte hat das neu gefüllte Glas erhoben. »Ich bin kein törichter Nostalgiker von Empire-Größe«, meint er, »und neige nicht dazu, historische Tränen zu vergießen. Aber ich muß dir gestehen, daß mich jedes Mal auf dem Höhepunkt des Londoner ›Concert of the Proms‹ Wehmut überkommt, wenn die Hymne an gestimmt wird: ›Rule Britannia, Britannia rule the waves‹.«
Suey hat unserem Austausch sehr aufmerksam zugehört. Sie streicht sich eine graue Strähne aus der Stirn und lächelt uns zu. »Ich bin ja froh, daß ihr wenigstens darauf verzichtet habt, eure Er lebnisse aus dem Vietnamkrieg wieder aufzuwärmen.« Liebevoll beugt sie sich über Derrick, dessen Gesicht unter der Einwirkung des Whiskys tatsächlich die Farbe eines »red lobster« angenommen hat. – »Do not listen to him«, scherzt Suey, »he is a silly old man.« – »So am I«, füge ich hinzu und umarme sie freundschaftlich.
Cantosétim o
KASACHSTAN
Die Macht der Steppe
Triumph des Groß-Khans
Astana, im Juli 2009
Ganz so trostlos wie angekündigt ist die Steppe im Umkreis von Astana, der neuen Hauptstadt der Republik Kasachstan, nun doch nicht. Die Behörden haben sich bemüht, im weiten Umkreis Grün anzupflanzen, und der Fluß Ischim, der eine Trennungslinie zwi schen den Wohn- und den Repräsentationsvierteln markiert, führt mehr Wasser als sonst. Von der als unerträglich geschilderten Mü ckenplage ist nichts zu spüren. Der günstige Eindruck, den wir von der Stadt haben, mag dem Zufall zu verdanken sein, daß wir an einem klimatisch milden Tag in Astana eintreffen. Von der im Sommer üblichen Hitze von vierzig Grad Celsius sind wir weit ent fernt. Es fällt schwer, sich vorzustellen, daß im Winter die eisigen Stürme vom Nordpol, ohne auf ein Hindernis zu stoßen, über die tellerflache, unendliche Ebene auf die Hauptstadt zutosen.
Das architektonische Phantasiegebilde, das der allmächtige Präsident Nasarbajew in diese trostlose Gegend verpflanzt hat, bietet ein faszinierendes, irgendwie beängstigendes Schauspiel. Die bizarren Neubauten erheben sich wie eine surrealistische Befestigungsanlage aus einer Landschaft, die vor gar nicht so langer Zeit von asiatischen Nomaden mit ihren Kamel- und Schafherden durchzogen wurde. Unter ihren konisch geformten Filzjurten fandensie damals Schutz vor den unerbittlichen Klimaschwankungen.
Die berühmtesten Architekten, darunter der unvermeidliche Engländer Norman Foster, wurden aufgeboten, um einen urbani stischen Kraftakt sondergleichen zu vollbringen, der jeder mensch lichen Vernunft zu widersprechen schien. Auf eigenartige, extra vagante Weise ist das ursprünglich als utopische Laune eines Despoten
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