Die Angst des wei�en Mannes
der gelegentlich von seiner erzürnten chinesischen Geliebten als »red faced Barbarian« beschimpft wurde.
Man mag einwenden, daß – um im ostasiatischen Raum zu bleiben – die Vietnamesen mit ähnlicher Geringschätzung auf die artfremden Gebirgsvölker herabblicken, die sie als »Moi«, als Wilde, bezeichneten, bis die Amerikaner für sie das französische Wort »Montagnards«übernahmen. Sogar die sanftmütigen Laoten suchten die ethnischen Gegensätze ihres kleinen Mekong-Staates zu überwinden, indem sie die fremdrassigen Meo, Yao oder Kha kurzerhand zu »Lao Theung«, Laoten der Berghänge, deklarierten, ähnlich wie Atatürk im fernen Anatolien aus seinen kurdischen Untertanen »Bergtürken« gemacht hatte. Die entscheidende Differenz besteht allerdings darin, daß sich der Superioritätskomplex der Han auf die ganze übrige Menschheit erstreckt und sie zu potentiellen Vasallen ihrer riesigen Einzigartigkeit herabstuft.
Das törichte Gerede von der »gelben Gefahr« hat vor allem in USA neue Aktualität gewonnen. Wie sähe sie wohl aus, die chine sische Weltherrschaft, die manche Phantasten bereits an die Wand malen? Eine »Pax Sinica« würde vermutlich kaum länger dauern als die »Pax Americana«, die gerade zu Ende geht. Sie böte auch kei nerlei Gewähr dafür, daß sich unter ihrer Ägide eine harmonische Konvivialität und eine für alle ersprießliche Zukunft einstellen würde. Aber hüten wir uns vor den Schimären des verstorbenen Kaisers Wilhelm II.
Imperiale Nostalgie
Für politische Informationsgespräche in Peking blieb nicht viel Zeit nach den Umbuchungen, die ich vorgenommen hatte. Ich tröstete mich damit, daß ich jenseits der üblichen Freundschafts beteuerungen über den Rüstungsstand der Volksbefreiungsarmee ohnehin nichts Relevantes erfahren hätte. Die in Peking akkredi tierten Verteidigungs-Attachés des Westens werden systematisch von jeder realistischen Einschätzung abgeschirmt oder ganz gezielt mit falschen Angaben gefüttert.
Ich bat das Hotelpersonal, die Telefonnummer eines alten Kollegen aus der Zeit des amerikanischen Vietnamkrieges ausfindig zu machen, eines britischen »Schlachtrosses«, dessen profunde Kennt nisdes Fernen Ostens mich stets beeindruckt hatte. Seine Heirat mit einer Singapur-Chinesin hatte ihm auch einen Zugang zur chinesischen Mentalität verschafft, die den meisten Ausländern verschlossen ist.
Nach Erreichen der beruflichen Altersgrenze war Derrick Tur ner als Freelancer in Peking geblieben. Der joviale, immer noch robuste Engländer stand im Ruf, für den britischen Auslandsdienst MI6 eine wertvolle Nachrichtenquelle zu sein. Nach längerem Su chen entdecke ich sein diskretes Büro in einem der monströsen Hochhäuser, deren Spitze in der gelben Dunstglocke der Haupt stand verschwindet.
Nichts verbindet so sehr wie gemeinsame Erlebnisse auf exoti schen Schlachtfeldern. Wir sind beide gealtert, aber die Herzlich keit ist schnell wiederhergestellt. Derrick gehört zu jener Katego rie von »gentlemen adventurers«, die heute kaum noch anzutreffen ist und für die nachwachsende Generation so fremd bleibt wie Kip lings »Der Mann, der König sein wollte«. Seine chinesische Ehe frau Suey serviert uns lächelnd und diskret den Tee und verzieht sich dann in ihre Wohngemächer. »Es ist seltsam«, bemerkt Der rick, »daß ich eine ganze Reihe von Europäern und Amerikanern getroffen habe, die mit Töchtern der Han-Rasse verheiratet und im allgemeinen damit recht gut gefahren sind. Hingegen sind mir kaum chinesische Männer bekannt, die eine Weiße geehelicht ha ben.«
Wir erwähnen beiläufig die rassischen Vorurteile, die bei den »Himmelssöhnen« mindestens so weit verbreitet sind wie im Wes ten. Während ich mich in dicht gedrängten asiatischen Massen niemals durch Körpergeruch belästigt fühle, nehmen die Chinesen bei den Weißen spezielle Ausdünstungen wahr. Derricks Frau Suey hatte im Scherz erwähnt, daß ihr Mann ähnlich rieche wie ihr heißgeliebter Hund Dragon, bei dem man stets auf der Hut sein müsse, daß er nicht als Leckerbissen in einem chinesischen Koch topf enden werde. Für andere Töchter der Han-Rasse, so hatte ich erfahren, schmecke der Weiße irgendwie nach Milch oder Butter.
NachdemSuey die Teekanne durch eine Whiskyflasche ersetzt hat – glücklicherweise verzichtet Derrick auf Gin and Tonic, das Standardgetränk englischer Journalisten, das sie in riesigen Glä sern in sich hineinzuschütten pflegen –, kommen wir zur
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