Die Angst des wei�en Mannes
belächelte Projekt dann doch gelungen. Wie die giganti schen Bauten eines Tages mit sprudelndem Leben erfüllt werden sollen, kann jedoch niemand beantworten.
Ich will nicht alle Kuriositäten aufzählen, die aus dem spröden Steppenboden herausragen. Am seltsamsten erscheint mir eine rie sige umgekehrte Jurte aus Beton, Glas und Stahl, die für mich wie eine überdimensionale Glühbirne aussieht. Der gigantische Präsi dentenpalast wird von zwei Kolossalkonstruktionen eingerahmt, deren Fassaden in der Sonne wie pures Gold leuchten. Erwähnt sei ein monströses Bauwerk, »Triumph Astanas« genannt, das mit den gigantischen Türmen rivalisiert, mit denen Josef Stalin der Skyline Moskaus bei allem verschnörkelten Kitsch eine barbarische, aber irgendwie imponierende Silhouette verlieh. Eine schillernde Pyra mide gibt sich als Symbol der verschiedenen Weltreligionen aus, deren einträchtiges Miteinander in Kasachstan befürwortet wird.
Das Luxushotel Radisson ähnelt jenem klotzigen Herrscherpalast, den Saddam Hussein im Herzen Bagdads, in der heutigen »Green Zone«, zum Symbol seiner Tyrannei erhob und dessen vier Ecktürme mit seinem eigenen behelmten Haupt in grotesker Überdimension verunstaltet wurden. Da Kasachstan ein überwiegend islamisches Land ist, bohren sich vier endlose Minarette osmanischen Stils über einer gewaltigen Goldkuppel in den Himmel. Neben einer Vielzahl kultureller Einrichtungen, Konzertsäle, Kongreßhallen und Lehrinstitute, reihen sich eine Serie von Gaststätten aneinander, die die kulinarischen Genüsse fremder Länder anbieten. Mag das im chinesischen Pagodenstil gebaute Restaurant noch Sinn machen, so löst die auf holländische Spezialitäten verweisende riesige Windmühle heitere Verblüffung aus. Ein unförmiges Sport stadionläßt sich mit jenem Gebilde vergleichen, das die Berliner als »Schwangere Auster« bezeichnen. Das Ganze wird überragt durch ein silbern glänzendes, schmales Gebilde, dessen Gipfel sich öffnet, um einem goldenen Apfel – wohl als Verheißung von Fruchtbarkeit – Raum zu geben.
Die riesigen Avenuen mit den Ausmaßen von Autobahnen sind bislang noch unzureichend bevölkert, und manche Kulturpaläste stehen leer, als warteten sie auf eine erlösende Entzauberung. Der Eindruck drängt sich zunächst auf, die Hybris, die Willkür eines selbstherrlichen Despoten, habe eine Art Fata Morgana in die Steppe projiziert. Aber dann stellt sich der Vergleich ein mit dem steinernen Alptraum von Pjöngjang, mit dem der Gründer der Volksrepublik Nordkorea, Kim Il Sung, seine genialische Größe zu verewigen glaubte. Am Rande sei vermerkt, daß sich in Astana auch Elemente jener planerischen Inkohärenz feststellen lassen, die der Neugestaltung des Potsdamer Platzes in Berlin zum Nachteil ge reichen.
*
Es trifft sich gut, daß der Tag unserer Ankunft in Astana mit dem zehnjährigen Jubiläum zusammenfällt, das den Gründungs-Ukas der Stadt zu einem nationalen Feiertag erhebt. Unter den Zaren hatte sich hier nur ein Außenposten von Kosaken unter dem Na men Akmola behauptet. In der Sowjetära weitete sich diese Sied lung, Zelinograd genannt, am westlichen Ufer des Ischim-Flusses aus. Man versuchte damals vergeblich, den trostlosen Plattenbau stil, der üblich war, durch etwas stalinistischen Schnickschnack auf zulockern. In der Nähe von Zelinograd war man auf Vorkommen von Uran gestoßen.
Der feierliche Staatsakt, der sich auf den Gründungstag der neuen Hauptstadt bezieht, steht unter dem Motto »Triumph Astanas«. In Wirklichkeit hätte das Jubiläum als »Triumph des Präsidenten Nasarbajew« zelebriert werden müssen. Wie viele Menschen gekommen sind, läßt sich schwer ermessen. Angeblich sollen es 30 000 sein, aber die Lebewesen schrumpfen zur Nichtigkeit in dieser un barmherzigen,grenzenlosen Leere von grauem, struppigem Steppengras mit einem Himmel, der trotz strahlender Sonne immer wieder von düsteren Schleiern getrübt scheint. »Die Zahl der Anwesenden spielt auch keine Rolle«, sagt mir ein westlicher Diplomat, der seine Anwesenheit als Pflichtübung wahrnimmt. »Jeder Dritte hier ist ohnehin ein Geheimpolizist.«
An die Privilegierten, die nach eingehender Sicherheitskontrolle auf den Festplatz gelassen werden, werden blaue Fähnchen verteilt. Übereifrig werden diese Jubelzeichen übrigens nicht geschwenkt, als die gepanzerte Limousine Nursultan Nasarbajews inmitten einer eindrucksvollen Begleitkolonne eintrifft und der Präsident seiner Karosse
Weitere Kostenlose Bücher