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Die Angst des wei�en Mannes

Titel: Die Angst des wei�en Mannes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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Sie erstreckt sich braun und wellig bis zum Horizont. Die Straße ist in gutem Zustand; wir kommen zügig voran. Das ist keine Hungersteppe. Immer wieder tauchen Ackerflächen auf, aber die Ernteerträge sind in diesem Jahr extrem gering. Die partielle Pri vatisierung der Landwirtschaft hat sich nicht als Segen ausgewirkt. Es fehlt an Krediten, an Maschinen, an Düngemitteln. Sogar das Saatgut ist ausgegangen, und viel Vieh wurde notgeschlachtet, weil es kein Futter gab.
    ImSüden entdecken wir schneebedeckte Kuppen. Dann bewegen wir uns in einer Hügellandschaft mit scharfen Kurven. Dichter Ne bel ist aufgekommen, aus dem abscheuliche Gipsfiguren – Darstel lungen von Hirschen und Jägern – wie Gespenster des sozialisti schen Realismus auftauchen. Die Dörfer sind bescheiden und im gesamtsowjetischen Kolchos-Stil erbaut. Auf den Märkten ist das Angebot dürftig. Nur alkoholische Getränke und Zigaretten aus aller Herren Länder gibt es im Überfluß. Die Menschen, fast aus schließlich Asiaten, wirken ärmlich. »Die Existenzbedingungen sind viel härter geworden als 1992 bei Ihrem letzten Besuch«, meint Isabegow. Die Friedhöfe wirken gepflegter als die Wohnstätten der Lebenden. Die Grabsteine sind meist mit Halbmoden verziert. Ich entdecke nur wenige Moscheen. Dafür lösen sich die Mazar-Kup peln, die Gräber heiliger Männer, in dichter Folge ab.
    Um zur kasachischen Stadt Dschambul zu gelangen, durchque ren wir den nördlichen Zipfel der Republik Kirgistan. Die Asphaltbahn nach Kara-Balta ist durchgehend von Straßendörfern ge säumt. Dieses ist wohl der fruchtbarste Landesteil, während im südlichen Hochgebirge von Kirgistan, das zum Dach der Welt, zum Pamir, überleitet, bittere Armut herrscht. In den typisch russischen Holzhäuschen müssen noch unlängst slawische Kolonisten ge wohnt haben. Sogar eine orthodoxe Kirche taucht auf, während ich vergeblich nach einer Moschee Ausschau halte. Alle zwei Kilome ter trotzt eine silbern angestrichene Leninstatue dem Wind des Wandels.
    Aber die Bevölkerung ist auch hier asiatisch geworden. Das Vordringen der Hammel- und Ziegenherden verändert bereits das Gesicht dieser bislang osteuropäisch wirkenden Landidylle, wo Hühner und Gänse über die Chaussee irren. Es hat wohl keine fremdenfeindlichen Pogrome in diesen Ortschaften gegeben, die den Exodus der Europäer erklären könnten. Mein Begleiter Isabegow gehört ohnehin zu jener akademisch gebildeten Schicht, die den Russen aufgrund ihrer Kultur und Erziehungsleistung verbunden bleibt. Die Verbrechen der imperialen Vergangenheit legt auch er dem zaristischen und dem sowjetischen Totalitarismus zur Last, nichtden Menschen. Doch irgendeine dumpfe Ahnung und Furcht muß sich der hiesigen Siedler bemächtigt haben.
    Jenseits von Kara-Balta verlassen wir das kirgisische Territorium. Nebel und Regen haben sich verzogen. Die kasachische Steppe nimmt uns wieder auf in ihrer feierlichen Monotonie. Am Himmel über den Alatau-Bergen entfaltet sich ein grandioses Schauspiel. Nur in Äquatorialafrika, an den Quellen des Nil oder am Oberlauf des Kongo habe ich so unheimliche, beklemmende Farbsympho nien beim Nahen der Nacht beobachtet. Der Horizont flackert gelb, grün und violett auf. Die Urzeitstimmung wird durch die An kunft eines riesigen Schwarms fetter Raben verstärkt, die sich mit widerlichem Krächzen auf unser Auto zu stürzen scheinen.
    Von der Stadt Dschambul, wo wir übernachten, gibt es wirklich nichts zu berichten. Aber im Hotel herrscht eine gedrückte Stim mung. An der Rezeption werden wir von der diensthabenden Rus sin aufgefordert, möglichst schnell unsere Abendmahlzeit – Pel meni und Hammelhackfleisch – zu uns zu nehmen und die Zimmer aufzusuchen. Auch Isabegow wirkt nervös. »Die Kriminalität hat unbeschreibliche Ausmaße angenommen«, warnt er. »Die frühe ren Sicherheitsorgane des KGB sind von Gewalttätern unterwan dert. Es passiert immer wieder, daß Menschen umgebracht werden, um ihnen die Nieren zu rauben. Mit Transplantaten läßt sich sehr viel Geld verdienen.«
    Um Mineralwasser zu besorgen, bin ich doch noch zu später Stunde an den Ausschank im Erdgeschoß hinuntergegangen, wo sich verdächtige Gestalten in den Plüschmöbeln räkelten. Sie tru gen Lederjacken und Sonnenbrillen. Manche führten die Waffe im Halfter. In einer Ecke, wo es besonders erregt zuging, lagen schwere Makarow-Pistolen gleich neben den Wodkaflaschen auf der Tischplatte. Die »Deschurnaja« drängte mich zur

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