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Die Angst des wei�en Mannes

Titel: Die Angst des wei�en Mannes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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Niedergangs ge wertet wird. Von den jungen kasachischen Märtyrern des Jahres 1986 war überhaupt nicht die Rede. Statt dessen priesen alle die real existierende Harmonie der Rassen und Religionen.
    Ein nervöser junger Mann, dessen Gesicht durch die schwere Wolfsschapka halb verdeckt war, teilte mir mit, daß mein vertraulich vereinbartes Treffen mit Anhängern der islamistischen »Alash«-Be wegung nicht stattfinden könne. »Ihre Gesprächspartner von den Oppositionsparteien«, tuschelte er mir zu, »befinden sich noch im Gefängnis und sind – entgegen früheren Zusicherungen – zum dies jährigen Nationalfeiertag nicht freigegeben worden. Lassen Sie sich durch dieses Fest der krampfhaft zelebrierten Eintracht nicht täu schen«, fuhr er fort.
    Tatsächlich hatte Nursultan Nasarbajew die staatsgründerische Devise ausgegeben: »Demokratie ist Ordnung.« Bei solchen pa triotischen Veranstaltungen drängt sich die Frage auf, ob in diesen exotischen Regionen der Welt der aufgeklärte Despotismus der von den Amerikanern stets wiederholten Forderung nach »Nation buil ding« nicht besser entspricht als die Vorspiegelung eines Vielpar teiensystems, dessen Wahlergebnisse ohnehin schamlos gefälscht würden.
DieOligarchen des »Rahat-Palace«
    Almaty, im Herbst 1995
    Seit dem denkwürdigen Saufgelage von 1980, als die Hotelgäste der Intourist-Herberge mit ausgelassener Wildheit den deutschen Schla ger »Dschingis Khan« in die Nacht brüllten, sind nur fünfzehn Jahre vergangen. Aber irgendwie trauere ich dieser Zeit ungehemm ter, barbarischer Geselligkeit bereits nach. Inzwischen ist die kom munistische Sowjetzeit durch einen karikaturalen Casino-Kapitalis mus und die bodenlose Korruption der Jelzin-Ära abgelöst worden. Nunmehr haben die milliardenschweren Oligarchen das Sagen.
    Am Rande von Almaty steigt der Fremde, der auf sich hält, neu erdings im Prachtbau des »Rahat Palace« ab, einem Implantat von artifiziellem westlichem Superluxus, das die umliegenden Häuser zeilen erdrückt. Eine österreichische Kette hat mit lokalen Geschäfts partnern dieses Joint Venture gegründet. In der hocheleganten und exzessiv teuren Unterkunft, wo die Liftkabinen wie durchsichtige Raumkapseln in die schwindelnde Höhe des glasüberdeckten Atri ums emporschweben, glänzt es von Marmor und Chrom. Der zen trale Innenraum ist durch eine geschmackvolle Bar im Jurtenstil geschmückt. Man würde sich in irgendein Super-Hilton oder Mar riott Hotel von Beverly Hills versetzt fühlen, wenn nicht die Gäste wären.
    Im »Rahat Palace« von Almaty ist die Mafia nicht nur zugegen, sie ist allgegenwärtig. Die argwöhnisch blickenden »Bisnesmeny«, die teuerste Kleidung und auffälligen Schmuck tragen, spielen unentwegt mit dem Handy. Sie bilden tuschelnde Verschwörer runden. Ihre brutalen, verschlagenen Gesichter verweisen sie ein deutig in den Bereich der Bandenkriminalität. Überall sind schwer gewichtige Leibwächter postiert, die sich wie Karikaturen ihrer Spezies bewegen. Die Suiten, so erfahre ich, sind samt und sonders von Mafiabossen und ihren »Gorillas« belegt. Ich bin wohl der ein zige Gast, der sich keinen Bodyguard leistet.
    Verblüffend ist die kosmopolitische Zusammensetzung dieses du biosenTrafikanten-Rudels. In der Lobby des »Rahat Palace« trifft sich Moskau mit New York, Tel Aviv mit Sankt Petersburg, Neapel mit Kuala Lumpur. Der »proletarische Internationalismus« von einst ist durch eine profitbesessene neue »Connection« abgelöst worden, die nicht weniger weltumspannend ist.
    In jenen Tagen wurde auch der Ukas Nasarbajews bekannt, die kasachische Hauptstadt von Almaty nach Zelinograd, das man von nun an »Astana« nennen würde, zu verlagern. Ich habe keinen ein zigen Beamten, geschweige denn einen ausländischen Diplomaten getroffen, der den Umzug in den rauhen Norden begrüßt hätte. Niemand weiß zur Stunde, wie die ungeheuerlichen Kosten für die sen Transfer aufgebracht werden sollen, zumal es um die Staatsfi nanzen nicht besonders günstig bestellt war. Der Schwerpunkt der Republik Kasachstan würde in Zukunft im Umkreis jener Bezirke und Städte liegen, in denen die Russen oft achtzig Prozent der Be völkerung ausmachen. Dazu zählen Uralsk, Aktjubinsk, Petropaw lowsk, Karaganda, Pawlodar, Semipalatinsk und das langgestreckte Ostufer des Ischim, wo sich die ersten Kosakenverbände bildeten.
    Die Erklärungen für diesen Willkürakt sind vielfältig und wider sprüchlich. Da wird argumentiert, die

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